Gegen Ende des Jahres 2022 Anfang 2023 unterhielten wir uns sehr lange, mein Mann und ich. Er wollte ein allerletztes Mal mit mir in den Urlaub an die Ostsee fahren, das Meer riechen, die Luft einatmen und träumen. Fort von vielen Dingen, die uns total belasteten. Ich grübelte und grübelte. Durften wir das tun, uns erholen, bedienen lassen und viel Geld ausgeben? Angesichts dessen, das der Krieg in der Ukraine immer noch nicht vorbei war? Das Weltgeschehen, die Katastrophen? Von Hannes Zeisler, einem lieben Freund von story.one war die Frau gestorben, was mir sehr nahe ging. Außerdem gab es viel zu erledigen und was mir wichtig war, ich wollte lieber schreiben, mehr Bücher, mehr Storys, wahre Geschichten, die in meinem Kopf herumschwirrten und mir keine Ruhe ließen. Altes neu auflegen, vorher Fehler korrigieren und einfach perfekter werden. Mein Mann tat mir leid. Er lebte und lebt ständig in Gefahr. Manchmal, wenn er nervte, wurde ich aggressiv, schäumte, ließ mein Blut wallen. Das Lamm wurde blitzartig zum Tiger. Ich konnte mich einfach nicht im Zaume halten. Es war wohl meinem Temperament geschuldet. Die kurzen Wutanfälle hatten ihren Ursprung in den Kindertagen.
Der Gedanke an Urlaub gewann die Oberhand. Ich buchte telefonisch, bekam ein gutes Angebot. Mittlerweile kränkelte mein Mann immer mehr, sprach laufend vom Sterben, was ich nicht ernst nahm, das machte er öfter. Mir ging es schon lange nicht gut. Durchhalten, dachte ich und besorgte auf dem Hauptbahnhof Fahrkarten Intercity 1. Klasse, ohne Umsteigen von Leipzig bis Binz/Insel Rügen. Knapp sieben Stunden Fahrt sollten es werden. Wir sprachen uns ab, falls etwas geschieht, wollten wir die Reise verschenken. Vorher sollten seine Zähne noch gemacht werden und Hörgeräte waren in Arbeit. Er hört so gut wie nicht, sieht nicht und beißen war unmöglich. Mein Humor und frech wie Oskar, sagte ich zum Zahnarzt: blind, taub und impotent, eben wie das bei Hunden manchmal ist. Dieser lachte. Ich habe bald dafür büßen müssen! Der Termin der Reise rückte näher. Das kann ja heiter werden, dachte ich, weder die Hörgeräte noch die Zähne waren fertig. Einen Stock wollte mein Mann. »Ich bin dein Stock und wenn du nicht hörst, gibt es Pfeffer, oder du kommst ins Heim!« Er konnte über meine Späße nicht lachen. Abreisetag. Bis zur letzten Sekunde hatten wir noch Bedenken, Streiks waren angesagt. Mit einem Taxi fuhren wir zum Hauptbahnhof, waren pünktlich, hatten noch eine Stunde Zeit. Auf der Rolltreppe geschah es. Ich hörte meinen Hinterkopf auf die sich bewegenden Metallspitzen knallen, und glaubte mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Ganz liebe Menschen hievten mich 66,6 kg schwer, steif wie ein Brett hoch. Mein Koffer war auf meinen Mann geknallt, der war dadurch gestürzt. Wir waren verkeilt. Er hatte seinen Schuh verloren. Dominoeffekt. Das sah ich erst, als ich zu mir kam. Ein junger Mann hatte mittlerweile die Rolltreppe abgestellt. Ich blutete leicht, bekam sofort eine Beule. Mein, unser Retter stellte sich vor. Dr. J. L. ein Hals-Nasen-Ohrenarzt aus Stuttgart. Mal sehen, was er über meine Bücher sagt, die ich ihm als Dank sandte. Die anderen lieben Mitmenschen, die kann ich nicht ausfindig machen. Den Urlaub genießen war unmöglich, hatten Prellungen, bekamen Husten, Schnupfen, Heiserkeit, eine schlimme Bronchitis. Mich überfiel eine Depression. Mit Tavor kommt der Humor.
© Elisabeth-Christine Kayser 2023-06-18