Das Mädchen im Park

MCB

by MCB

Story

Ein sonniger Morgen – in knapp zwei Stunden musste ich auf der Arbeit sein. Aber noch hatte ich Zeit und nutzte sie für einen Spaziergang durch den nahe gelegenen Park. Den Park meiner Kindheit und Jugend.

Auf der Halbinsel am großen Ententeich bemerkte ich ein blondes Mädchen, welches etwas verloren wirkend zwischen den dort aufgestellten Bänken hin und her ging. Dann setzte sie sich um gleich darauf wieder aufzuspringen und wiederum mit unsicherem Gang herumzustolpern.

Ich lenkte meine Schritte in Richtung der Halbinsel. “Alles in Ordnung? Brauchst Du Hilfe?” “Haben Sie Feuer?” Sie kramte in ihrer großen Umhängetasche, förderte aber nur eine halbleere Flasche Wodka und einen Arztbericht zu Tage. “Hier. Lesen Sie das. Verstehen Sie, was da steht?” Ich nahm auf einer der Bänke Platz – hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch ihr zu helfen und der der Sorge, dies könnte gefährlich werden. “Hier!” Sie drückte mir den Bericht in die Hand und wollte die Flasche öffnen. “Ich glaube, Du hast genug getrunken.” sagte ich und griff nach dem Bericht. Sie ließ die Flasche wieder in ihre Tasche gleiten und ehe ich einen Blick in ihre Unterlagen werfen konnte offenbarte sie mir, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich hat und dies der Bericht dazu war.

Schweigend blickte ich über den Ententeich und überlegte, was ich dazu nun sagen sollte. “Ich wohne in einer Wohngruppe in der Stadt. Werde dort ausziehen, bin abgehauen. Aber alle meine Sachen … sie sind noch dort. Ich habe nur diese Tasche mit. Ich weiß nicht, wie ich dort hinkommen soll.” sprudelte es aus ihr heraus. “Okay”, sagte ich. “Das ist nicht so gut. Ich könnte Dich hinfahren, das schaffe ich grade noch, bevor ich zur Arbeit muss.” Ich biss mir auf die Zunge. Wieso hatte ich das gesagt? Was, wenn es eine Falle ist? Was, wenn ich überfallen werden sollte? Ich musterte das Mädchen abermals und kam dann aber zu dem Schluss, dass diese Sache wohl nicht gefährlich war. Meine Menschenkenntnis ließ mich selten im Stich und ich musste mich nun wohl oder übel darauf verlassen. Gesagt ist gesagt.

“Das würden Sie tun? Wirklich?” ungläubig starrte sie mich an. Dann zückte sie ihr Handy und bat mich, meine Nummer dort einzuspeichern. Für Notfälle – wie sie betonte. Also was soll’s. Ich tippte unter Conny meine Nummer ein und dann machten wir uns auf den Weg zum Auto. Ich war sorgsam darauf bedacht, meine Handtasche aus ihrer Reichweite zu halten – sicher ist sicher.

An der Wohngruppe angekommen – unscheinbar untergebracht in einem Wohnhaus mitten in einer Wohnsiedlung – bot ich ihr an sie noch hinein zu begleiten. Uns empfing ein junger Mann, der das Mädchen ironisch betrachtete. “Na? Hast Du wieder getrunken?” Dann wandte er sich mir zu. “Wo haben Sie sie aufgegabelt?” Ich erzählte es ihm und wandte mich dann an das Mädchen, um mich zu verabschieden. Ich musste zur Arbeit.

Noch lange dachte ich an sie. Was wohl aus ihr geworden war? Einen Anruf habe ich nie bekommen…

© MCB 2020-06-14