Das Mädchen ohne Beine

Minka Hauschild

by Minka Hauschild

Story

Es war ein milchig milder Nachmittag in Bodhgaya, jener kleine Ort in Nordindien wo sich Lord Buddha einst vor 2500 Jahren unter dem Bodhi Baum niederließ um endgültig zu erwachen.

Bodhgaya ist der wichtigste Pilgerort für Buddhisten und in großen Bussem kommen Pilgerscharen aus der ganzen asiatischen Welt um dem Baum zu huldigen. Die Luft ist erfüllt mit Tigerbalsam, Räucherwerk und von parfümierten Blumen. Das Geschrei von riesigen Vogelschwärmen mit Anbruch der Abenddämmerung mischt sich mit den Anrufungen und Zufluchtsformeln an den Buddha, die aus Blechlautsprechern von den anführenden Mönchen der jeweiligen Pilgergruppen in Malayisch, Srilanki, Burmesich, Korenaisch,chinesisch und anderen Sprachen krächzen.

Bodhgaya ist ein magischer Ort und wie an jeder Pilgerstätte gehören auch die Bettler dazu, denn Großzügigkeit ist ein Teil der Pilgerpraxis.

So wohnen Sie vor dem Eingang der Tempel Garten Anlage an einer Strassenkreuzung, immer die selben. Von Polio entstellte Kinder zeigen Ihre verkrüppelten Beine und liefern sich Wettstreits: Krücken gegen Rollbrett. Verstümmelte Leprahände werden einem entgegen gestreckt und eine Gruppe Blinder hat sich als Musikband zusammen getan, Sie trommeln und rasseln täglich. Jeder versucht ein paar Rupien zu ergattern.

An jenem milden milchigen Nachmittag sah ich ein Mädel welches ich noch nie hier gesehen hatte. Sie hatte keine Beine, also nur die Beckenschale, es schien mir ein Geburtsfehler zu sein, denn so eine Operation um jemanden zum betteln zu verstümmeln ist zu riskant und zu aufwendig. Sie war bildhübsch, ca. 16 Jahre und saß auf Ihrem Becken mit dem Gesicht zu einer Mauer gewandt etwas abseits vom Geschehen und weinte ganz still vor sich hin, damit es keiner bemerkt. Erschüttert hockte ich mich zu Ihr, legte meine Hand beruhigend auf Ihren Rücken was den Tränenstrom weiter hervorbrechen ließ. Auch andere wurden auf Sie aufmerksam: Ein alter einfacher Mann in einem zerrissenen Anzug stellte sich neben Sie, krempelte sein Hosenbein hoch bis eine Prothese sichtbar wurde und meinte”Ist doch gar nicht so schlimm, guck mal, ich bin so alt geworden damit”. Eine Gruppe Schulmädchen im selben Alter wie sie hockten sich zu uns und trösteten”Ach auch mit Beinen ist das Leben hier echt schwer und wir haben es nicht nur leicht und lustig”. Also überließ ich die Tröstaktion den anderen, stand auf und kaufte intuitiv eine Kokosnuss mit frischem Kokoswasser. Die brachte ich ihr und sie trank sie in einem Zug leer.

Das Kind war einfach dehydriert. Das hat seinen Grund in den für die Bettler nicht vorhandenen Toiletten, so das Sie alle viel zu wenig trinken. Aber auch ohne Beine ist sie vermutlich ständig zum Pipi machen auf Hilfe angewiesen, also lieber nicht trinken. 10 Minuten später war die Kleine wie ausgewechselt und stand wie eine Eins in der aufgereihten Bettlerschlange. Immer wieder beobachte ich seit dem, dass sie das meiste Geld bekommt, ein gutes Pferd im Stall.

© Minka Hauschild 2019-04-11

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