Das Ostblock-Vermächtnis

Maro

by Maro

Story

Kennen Sie diese Gebäude, die irgendwie aussehen, als wären sie schon alt und runtergerockt gewesen, noch bevor der Putz ganz trocken war? Bei vielen Plattenbauten aus dem guten alten Ostblock geht mir das so. Ja, ich weiß, auch im Westen wuchsen diese Ungetüme aus dem Boden wie besonders hässliche Gänseblümchen, aber ich bin nunmal im Osten groß geworden. Bis heute frage ich mich, warum diese Scheußlichkeiten so beliebt waren. Vermutlich hat damals irgendein hohes Tier im kommunistischen Architekturbüro seinen fleißigen Arbeiterameisen die Anweisung erteilt, dass man nicht nur an Kapitalismus, sondern auch an optischer Raffinesse zu sparen habe. Also hat man den Verfall direkt mit in den Mörtel gemischt und die Wände hinterher mit Trostlosigkeit tapeziert. Mit dem Charme einer stabil verwelkten Grablilie stehen sie so bis heute da und lassen Betrachter wie mich in dem fragwürdigen Glanz ihrer Tristesse baden. Bei zu langer Betrachtung würde ich es gern wie die Lemminge halten und mich anschließend irgendwo mit deprimierend wenig Elan in mein Ende stürzen, deswegen schaue ich meistens recht schnell wieder weg. Aber es ist ja eigentlich nur verständlich – weil alle Menschen gleich waren, mussten es ihre Häuser folglich auch sein. Und es sollte ja vorrangig halten, nicht schön aussehen – ein Prinzip übrigens, mit dem die DDR bekanntlich nicht in allen Bereichen erfolgreich war. Deswegen durfte man den Pragmatismus natürlich auf gar keinen Fall mit Ästhetik verschandeln oder verschindeln; anders kann ich mir auch diese grässlichen, in Schimmelgrün gehaltenen Waschbecken nicht erklären, die bis heute das Gartenhäuschen meiner Großeltern zieren. Wo wären wir denn da hingekommen, wenn Leute plötzlich Freude beim Betrachten eines Gebäudes oder einer Einrichtung gehabt hätten? Ich will damit keinesfalls andeuten, dass es die Lebensqualität so nachhaltig verbessert hätte, dass am Ende niemand mehr auf die Mauer gestiegen wäre, aber ein bisschen Anschaulichkeit hätte trotzdem niemandem geschadet. Doch nein, es hatte an Heiterkeit auszureichen, dass man Kinder, die dort einen Ball kickten, als Plattenspieler bezeichnen konnte. Für Müßiggang war bei uns in Deutschland schließlich noch nie Zeit, warum also für Wandfarbe und Dekor? Aber wozu auch – der Pragmatismus konnte seine Existenz ganz prima ohne Schmuck und Schnörkel proklamieren. Und günstig war es außerdem! Außerdem muss ich ja fair bleiben: Wie alles, was aus der DDR kommt, überstehen diese tristen Betonwüsten trotz ihres Tarnverfalls vermutlich auch noch problemlos ein paar tausend Jahre, Apokalypse inbegriffen. Wenn dann irgendwann einmal eine außerirdische Lebensform unseren zu Ende verbrauchten Planeten findet, wird nichts mehr übrig sein von unserer Kultur – außer die Milliarden und Abermilliarden Tonnen Plastikmüll und die gute alte Ostblock-Platte.



© Maro 2023-07-08

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Humor & Satire, Biographies
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Komisch
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