Das Schneckenhaus

Nico Brunnbauer

by Nico Brunnbauer

Story

Ich bin eine Schnecke. Ich bin weich und glibbschig. Ich brauche beim Essen am längsten, ich bleibe beim Gehen am weitesten zurück. Ich bin eine Schnecke mit einem Rückzugsort – einem filigranen Panzer aus Zellophan, kreiselförmig, leicht durchdringbar. Und mehr ist auch nicht nötig. Denn es macht keiner Anstalten, müht sich keiner ein Stückchen ab… ihn… und mich, zu durchdringen. Ich lebe mein kurzes feines friedfertiges, regelrecht kleinförmiges Leben mit einer Würde, die seinesgleichen sucht. ‚Ich‘ – Ich bin eine Schnecke mit Format. Und warum sollte man sich auch hinauswagen, die Vertrocknung und Verdunstung in der Außenwelt riskieren, wenn das Innenleben so schön zufriedenstellend fordernd ist? Die Gedanken machen hier drin Purzelbäume, Segelflüge, Bungee-Jumping, Kreuzschifffahrten, Tauchausflüge, Disco-Foxtrott. Ich denke und ich denke und ich denke und ich verpasse volle Fahrt Voraus mein Leben. Das kurze feine friedfertige. Ich könnte ja auch bei einem Nilpferd anklopfen. Mich mit meinem schleckigen, fadenspurigen Körper zu seinem Domizil ziehen, um einfach nur ‚Hallo‘ zu sagen. Nur das wäre nicht meine Art. Oder ich könnte mein Schneck-o-Mobil einschalten und die Grille aus meiner Nachbarschaft anrufen. Ich könnte anrufen und fragen ‚Wie geht es dir?‘ Aber… aber dafür bin ich mir zu stolz. Schließlich könnte ich dir auch einfach in die Augen sehen. Dir, Celeste. Göttin der Winde und Göttin der Flüsse von Babylon. Strahlst wie der Engel der Cote’d’Azur und lädst zum Sonnenbaden ein. Ich könnte dir in deine funkelnden Augen schauen und verkünden: ‚Du bist wahrhaftig. Du bist meine Freundin.‘ Jedoch würde das niemand glauben können. Nicht einmal meine Gedanken.

© Nico Brunnbauer 2021-02-26