Das Tinder-Date

BibiB

by BibiB

Story

“Lass uns im Alten AKH beim Stiegl treffen.” Dieses Date stand unter keinem guten Stern. Nicht genug, dass ich extra aus dem Burgenland nach Wien fuhr, schickte er mich auch noch quer durch die halbe Stadt, um zu dem Treffpunkt zu gelangen. Dennoch wartete ich zwei Stunden später beim Eingang, während ich ihn auf mich zukommen sah. Mein erster Gedanke bei seinem Anblick: “Wieso treffe ich eigentlich immer nur kleine Männer?” Nicht, dass ich besonders groß wäre, aber von meinen drei Treffen – ihn inkludiert – schaffte es keiner über 1,7m. Der zweite Eindruck war nicht viel besser, denn als er vor mir stand, begrüßte er mich mit den obligatorischen Küsschen auf die Wangen – und das überschritt definitiv meinen persönlichen Wohlfühlradius bei mir fremden Personen. Ich wollte die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben, setzte mich mit ihm an einen Tisch und nachdem wir unsere Getränkebestellung aufgegeben hatten, fingen wir an, uns zu unterhalten. Und – oh Wunder – es war richtig toll. Wir redeten über Gott und die Welt, über uns, unser bisheriges Leben, über vergangene Urlaube, über unsere Familien, in die er mir gleich tiefe Einblicke gewährte, über unsere Wünsche, Träume und Sehnsüchte, mit einem Wort, über einfach alles, ohne Tabu, ohne zu zögern und ohne das Gefühl zu haben, irgendetwas verheimlichen zu müssen oder durch das Gesagte nicht gut dazustehen. Kurzum, es war so, als ob wir uns schon unser ganzes Leben lang gekannt hätten und als er mich dann nach einer Stunde fragte, ob ich ihn küssen wolle – was ich übrigens sehr süß fand, da er mir damit die Wahl ließ und mich in keinster Weise bedrängte -, tat ich dies, ohne zu zögern. Und es war ungelogen der beste Kuss meines Lebens!

Nach der Trennung von meinem Exfreund war die Welt für mich untergegangen und ich dachte, dass ich nie wieder jemanden für mich finden würde, dass ich der viel gerühmte Wok unter den Töpfen wäre und jetzt saß ich hier und wurde mit einem Schlag eines Besseren belehrt.

Zwei Wochen und fünf Treffen später saß ich dann auch schon spontan neben ihm im Flugzeug Richtung Thailand. Eine für meine Verhältnisse wirklich sehr gewagte Aktion, da ich normalerweise alles doppelt und dreifach durchdachte und das Risiko eher scheute. Aber es fühlte sich in dem Moment einfach richtig an. Dieser Urlaub, diese Zeit, er selbst – all das schien so vorherbestimmt als ob es gar nicht anders kommen hätte können.

Und jetzt sitze ich zehn Jahre später, während ich diesen Text schreibe, wieder hier in Thailand am Strand, höre die Wellen rauschen und drehe meinen Kopf zu ihm – ihm, der Liebe meines Lebens, meinem Seelenverwandten, meinem dritten Tinder-Date – und lächle ihn an, bevor ich ihm, wie auch schon ganz am Anfang, einen langen, innigen Kuss gebe.

© BibiB 2024-12-06

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional