Genau genommen genügt schon mein Griff zu den Schuhen, um Lotte in Hab-Acht Stellung zu bringen. Mit gespitzten Ohren und gespanntem Blick verfolgt sie jede meiner Bewegungen. In dem Moment, wo ich zum Schlüssel greife, verwandelt sie sich in einen hüpfenden Gummiball und orgelt in tiefen Tönen dazu. Diese ulkigen Lautäußerungen waren mir bis dato unbekannt. Ein oder zwei Minuten darf sie ihrer Begeisterung über das Fortgehen Ausdruck verleihen. Danach ist Stille angesagt! Trotz aller Ungeduld muss sie brav vor mir sitzen und sich “anziehen” lassen. Dann geht es hinaus in die herrliche Natur! Obwohl, herrlich ist es nicht immer. Gelegentlich sind wir beide im strömenden Regen unterwegs. Zwischendurch schüttelt sie die Tropfen ab und trabt anschließend wieder eifrig weiter. Gelegentlich ist es ungemütlich kalt oder der Wind pfeift aus Leibeskräften. Auch unter diesen Bedingungen hinauszugehen stärkt die eigenen Abwehrkräfte bestens. Lotte wird nachher, so notwendig, abgetrocknet und bekommt ihren Bademantel (gibt ‘s wirklich!) übergezogen. Für mich gibt es heißen Tee und die Welt ist wieder in Ordnung.
Eines Tages greife ich zu den Schlüsseln und – was ist los?? – Lotte zeigt kaum merkbares Interesse am Geklimper! Geübt im Ausmalen schlimmer Bilder sehe ich mich schon zum Tierarzt fahren, um eine grässliche Diagnose erfahren zu müssen. Doch irgendwann entdecke ich den kleinen feinen Unterschied: die Schlüssel. Wenn ich nicht nur Haustür-, sondern auch den Autoschlüssel aufnehme, klingt das anders und Lotte kennt den Unterschied! Sie hasst Autofahren von ganzem Herzen. Verdenken kann ich ihr das nicht. Als ich Lotte im Dezember 2023 aus dem Tierheim mit nach Hause nahm, weinte sie bloß ein paar Minuten. Dann lag sie still und ruhig auf dem Beifahrersitz. Fast schon daheim wurde sie von Übelkeit übermannt und “Wooaap!” war ihr Mageninhalt draußen. Wenn sie jetzt ins Auto steigen sollte, sagt ihr Blick: “Das mache ich nicht.” Sie setzt sich einen Meter vor der Autotür auf ihre Keulen und bewegt sich nicht vorwärts. Will ich sie hochheben, senkt sie eine Schulter und rollt sich auf den Rücken. Da liegt sie dann als “nasser Sack”. Aus dieser Position ihre 14 kg auf den Sitz zu heben ist anstrengend. Inzwischen rolle ich Lotte zurück auf den Bauch, nehme ihre Vorderpfoten hoch und ziehe (sanft!) daran, sodass sie mit ihren Hinterbeinen losmarschiert. Beim Sitz angekommen lege ich ihre Pfoten darauf und schiebe sie am Popsch hinauf. Da liegt sie dann eingerollt und gottergeben. Ich befestige ihren Sicherheitsgurt und wir können doch noch losfahren.
Nach mehr als einem Jahr verträgt Lotte das Autofahren schon besser. Anfangs hatte sie ihr Abendfutter zeitiger bekommen und gar kein Frühstück. Später war schon ein kleiner morgendlicher Imbiss möglich. Auf längeren Strecken machen wir ausgedehnte Pausen. Auf diese Art entdecke ich mir bisher unbekannte Sehenswürdigkeiten und Naturschätze. Zum Beispiel sind wir in Grimmenstein den Weg zur Ursulaquelle gegangen. Durch das die Straße entlang plätschernde Bächlein ist Lotte mit Genuss und vollem Tempo galoppiert. Richtig gelacht hat sie! Ich hoffe sehr, dass wir gemeinsam noch viel Schönes entdecken werden!
© Hedwig Kromer 2025-04-24