by Laura Henk
Natürlich hatte ich ihm einen anderen Grund genannt, denn er hätte das sonst niemals zugelassen. Sanft berührte ich sein Gesicht auf dem Plakat und schloss für einen Moment die Augen. Ich hoffte so sehr, dass es ihm gut ging. Mittlerweile hatte er mit seiner Band sein Debut gefeiert und schien immer bekannter zu werden. Überall in der Stadt hingen Plakate von der Band, die der Musik neues Leben einhauchte und schon einige Preise gewonnen hatte. Sofort kam mir ein Lied in den Sinn, das Noah mitgeschrieben hatte:
Ich lächle dich immer an. Selbst wenn die Liebe eine Tragödie für mich ist. Ich weine immer, wenn es vorbei ist. Nichts ist für immer. Ich lebe ohne dich, selbst wenn es sich so anfühlt, als würde ich sterben. Vorbei, die Liebe ist nicht vorbei! Bitte hilf mir aus diesem endlosen Labyrinth! Liebe ist so schmerzhaft. Abschiede sind noch schmerzhafter. Ich kann nicht weiter machen, wenn du nicht hier bist. Liebe mich, komm zurück in meine Arme. Die Liebe ist nicht vorbei!
Es wirkte, als hätte er den Text über mich geschrieben. Er drückte das aus, was ich fühlte. Oder meinte er etwa sich selbst damit? Aber nein, das konnte nicht sein. Ich verstrickte mich in meine eigene Gedankenwelt. Wer wusste, was noch alles passieren würde, wenn ich mich dem länger hingeben würde. Am besten ging ich wieder nach Hause und versuchte, damit klar zu kommen, dass er weg war. Es half ja doch nichts. Davon würde er auch nicht plötzlich wieder auftauchen.
Abrupt drehte ich mich um und knallte gegen einen jungen Mann, sodass meine Kopfhörer aus meinen Ohren flutschten und seine Unterlagen, die er in der Hand getragen hatte, zu Boden fielen.
“Entschuldigen Sie bitte, ich habe nicht aufgepasst”, sagte ich schnell und bückte mich, um die Blätter aufzusammeln.
“Geht es Ihnen gut?”, fragte ich und drückte ihm seine Unterlagen wieder in die Hand. Der Mann hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Eine Maske hatte er auch an, sodass man nur seine Augen sah, die mir verwirrt entgegen starrten. Aus irgendeinem Grund kamen mir seine Augen bekannt vor und ich fragte mich, woher ich ihn kannte.
“Amy?”, sprach er ungläubig meinen Namen aus. Er wirkte, als könne er nicht glauben, wen er da vor sich hatte. Seine vertraute Stimme ließ einen angenehmen Schauer durch meinen Körper fahren, den ich schon ewig nicht mehr gespürt hatte.
“Noah…” Es fühlte sich so an, als würde meine Stimme nicht zu mir gehören. Ich konnte nicht fassen, dass er einfach so vor mir stand.
“Wie geht’s dir?” In seiner Stimme konnte man den Schmerz heraus hören, den ihn die ganze Zeit begleitet haben musste. Was hatte ich ihm nur angetan? Ich war es gar nicht wert, die Chance bekommen zu haben, ihn wieder zu sehen. Aber vielleicht war es für ihn heilsam und vielleicht konnte er so damit abschließen.
“Ich…Können wir reden?” Mechanisch nickte er und wir gingen zu einer ruhigen Stelle, an der eine Bank stand. Vorsichtig setzten wir uns nebeneinander hin, wobei ich ihn aber nicht anschauen konnte.
© Laura Henk 2022-06-13