Dein Kopf hängt ständig zur einen Hälfte in der Vergangenheit und zur anderen in der Zukunft. Du denkst an Zeiten, die längst waren oder noch kommen werden, aber viel zu selten an jene, die gerade sind. Du würdest so gerne einfach mal nur sein, ohne darüber nachzudenken, was dich schon so lange quält. Leider kannst du das nicht.
Noch immer beschäftigt dich all das, was du hättest besser oder anders machen können, doch eine Antwort darauf, ob es das wirklich gewesen wäre, wirst du niemals erhalten. Darum bist du immer wieder im selben Gedankenkarussell gefangen, in dem du nur deine Fehler siehst und nicht das, was aus diesen vermeintlichen Fehlern entstanden ist.
Ich weiß genau, wie schwer das ist, trotzdem hatte jede deiner Lebensentscheidungen einen Sinn, von dem mickrigsten bis zum riesigsten. Vielleicht nicht den Sinn, den du dir einmal erträumt oder gewünscht hattest. Andererseits gab es durch jede Entscheidung ebenso etwas Positives, an dem du dich festhalten kannst, und möglicherweise steckt genau darin der Sinn, wenn man ihn so definieren möchte. Manchmal ist es ein Mensch, den du sonst nie kennengelernt hättest. Manchmal ist es ein neues Hobby, über das du nie gestolpert wärst. Manchmal ist es ein neues Lieblingsessen, das du in einer Zeit entdeckt hast, in der sich alles falsch angefühlt hat. Manchmal ist es eine neue Stadt, an die du vorher nie gedacht hättest. Manchmal ist es ein Beruf, von dem du nie wusstest, dass er für dich überhaupt infrage kommen würde. Manchmal ist es eine Erkenntnis, die du auf anderen Wegen nie getroffen hättest. Manchmal ist es eine Freundschaft, die du nie gefunden hättest. Manchmal ist es schlichtweg das Gefühl, dass etwas sich nicht richtig angefühlt hat und du auf dich selbst geachtet hast, indem du etwas geändert hast. Manchmal ist es ein kleines bisschen Selbstliebe, die du in dieser Form zuvor nie zulassen konntest. Je länger du darüber nachdenkst, wie dein Leben heute aussieht, wird dir bestimmt mindestens eine von diesen Sachen einfallen. Eine Sache, die unendlich wertvoll ist. Es kann herausfordernd sein, diese zu sehen, wenn die negativen Gedanken alles überschatten und in eine seltsame Dunkelheit tauchen. Ich hoffe, dass du es schaffst, diese Dunkelheit irgendwann wegzuschieben und dich auf das zu konzentrieren, was gerade ist. Ich glaube daran, dass du es sehen kannst.
Doch dann ist da ja noch die Zukunft, die sich jeden Tag aufdrängt. Die Sorgen fliegen wild umher und verfangen sich in einem Netz aus Unsicherheit. Du kannst nur schwer aus diesem Netz entfliehen, weil kein klarer Ausweg existiert. Alles, was dir sicher ist, ist die Ungewissheit. Vielleicht kannst du die Ungewissheit nutzen. Ich bin ihr selbst so oft ausgesetzt und habe mich schon tausendmal in ihr verloren. Dahingegen stellte sie sich als Chance heraus. Sie zeigte mir, dass ich entscheiden kann und darf, was ich mir für meine Zukunft ausmale und wofür ich mich entscheide. Der Blick darauf, dass diese Entscheidung trotz alledem nicht in Stein gemeißelt ist, kann helfen. Heute weiß ich, was ich heute weiß, morgen kann das schon etwas ganz anderes sein. Es ist in Ordnung und sogar wichtig, liebevoll mit sich selbst zu sein und die Gegenwart nur Gegenwart sein zu lassen.
© Friederike Müller 2025-08-28