Unfassbar, dass ich wirklich diesen Begriff in die Suchleiste eingebe. Der Link, welchen mir eine Freundin wenige Tage zuvor zugesendet hat ist immer noch geöffnet. “Online-Dating in Zeiten von Corona – Frauennotruf macht auf vermehrte Fälle von ‘Date Rape’ aufmerksam” heißt die Schlagzeile. Sie hatte mir gegenüber auf dem Bett gesessen, während ich ihr davon erzählte, was bei dem ‘Date’ geschehen ist. Später lag sie mir in den Armen, während wir uns gegenseitig beruhigend über den Rücken strichen und sie versuchte ihren Tränen Einhalt zu gebieten. Es kam mir merkwürdig vor, wie ich dasaß, unberührt und einen anderen darüber hinwegtrösten musste, was mir zugestoßen war. Ist es denn wirklich so schlimm? Ist mir das wirklich passiert? Schon wieder?
Ihre Reaktion löste Übelkeit in mir aus, welche mich auch die nächsten Tage nicht loslassen wollte. Eine Woche nach den Geschehnissen finde ich mich in meinem Zimmer wieder. Es ist bereits Nachmittag und ich starre die weißen Wände an. Immer wieder wird mir übel und mein Herz scheint nicht im Rhytmus zu schlagen. Das Blut in meinem Körper pulsiert fremdartig und meine Bewegungen fühlen sich unkontrolliert an. Ich befinde mich an den Grenzen innerer Dynamik: Trauer, Melancholie, Taubheit, Begierde, Scham, Schuld, Erregung, Ekel, Apathie, Depression. Ich will Ruhe , dann wieder Regung . Ich suche trotz allem sexuelle Erregung und sehne mich deshalb nach Bestrafung, doch zugleich möchte ich Nähe, Mitleid und Schutz. Was ist los mit mir? Eine schwankende Ambivalenz hat Besitz von mir ergriffen.
Einige Tage später wird mir erneut entgegnet: “Das ist heftig, ist es das nicht?” Ist es das? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich denken, was ich fühlen soll. Gerne würde ich ihnen erklären, dass ich nicht weiß, was und wie mir erlaubt ist zu fühlen. Ob das, was ich in dem Moment, als es passierte, fühlte, auch in der Retroperspektive erlaubt ist? Ich geriet in Panik und seit dem erfasst sie mich immer wieder. Dann stelle ich alles infrage. Die Vorstellung, dass mir das passiert ist trifft mich mit einer emotionalen Heftigkeit, nur um dann ins Nichts zu verschwinden. Dann fühlt sich das alles unmöglich an, auch wenn die Emotionen klar waren, als ich sie empfand. Ich habe mich immer sicher und gut dabei gefühlt, wenn ich meinen Freunden eine Analyse meiner Misere gab, aber dieses Mal traue ich mir diese Rationalität nicht zu. Ich traue meiner Gefasstheit nicht.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mich im Spiegel betrachte und darüber nachdenke, an was sich dieser Körper erinnert. Das Bild kommt mir bekannt vor, das Gesicht vertraut, doch der Blick ist augenlos. Ich will mich wieder verletzen, um mich in die Sichheit meines Körpers zu flüchten. Stattdessen wende ich mich ab. Doch ich kann meinen Beobachtungen nicht entgehen. Was soll ich damit anfangen? Ich behalte sie für mich. Was sollten sie auch sagen? Dass sie mich versehen? Dass es besser wird? Ich bin müde.
© Marianne-Connell 2022-03-21