Deine Visage kotzt mich an

Petra Baumann

by Petra Baumann

Story

Seit über zwei Stunden sitzen wir alle schon hier, hier in diesem kleinen Raum und lassen diese Konferenz über uns ergehen. Es ist Freitagnachmittag, fast schon Abend und viel zu heiß. Meine Oberschenkel kleben am Stuhl fest, ich versuche, sie nicht zu bewegen, was nicht immer funktioniert. Neben mir sitzt unsere neue Kollegin, die zu jeder Aussage des Vortragenden irgendeinen hirnrissigen Spruch von sich gibt, leider sehe nicht nur ich das so. Anfangs hab ich noch darüber gelacht, ich habe zumindest so getan, als ob es lustig wäre, aber jetzt kann ich nicht mehr. Ich bin müde, kann fast nicht mehr sitzen, weil ich es einfach nicht mehr gewohnt bin und versuche, meine Augen offenzuhalten. Nun beginnt auch noch mein Kopf zu schmerzen, na super.

Zwar starre ich immer und immer wieder auf die Leinwand und tue so, als ob ich der Präsentation genau folge, aber in Wahrheit bin ich ganz woanders, irgendwo in Norwegen auf einem Fjord und plane unsere nächste Wanderung und dort wird es wohl nicht so heiß sein wie hier. Deshalb greife ich in meine Tasche und hole einen Energydrink, natürlich zuckerfrei, hervor und leere ihn in nur zwei Zügen. Leider ist meine Wasserflasche auch schon leer. Nach ein paar Minuten geht es mir besser, ich folge der Präsentation und bin voll bei der Sache. Eigentlich ist sie ziemlich interessant. In der letzten Reihe ist nun ein Flüstern zu hören, ich kann der Präsentation wieder nicht folgen. Zwei Kollegen unterhalten sich und dieser Hintergrundton lenkt mich wiederum ab, es wird immer nervtötender.

Plötzlich höre ich direkt hinter mir das Geräusch eines Stuhls, der gerade nach hinten geschoben wird. Ich drehe mich um und erkenne, dass einer meiner Kollegen aufgestanden ist und in diesem Moment beginnt er laut zu schreien, während der Rest von uns schweigt: “Wie kann es sein, dass ihr beide stört? Ich kann nichts verstehen. Es ist Freitagnachmittag und für uns alle anstrengend, wir wollen hier folgen und aufmerksam sein, doch mit euch hier ist das nicht möglich. Haltet doch endlich eure verdammte Klappe! Alle!”

Ich drehe mich um und versuche nicht aufzufallen. Mir ist selten etwas peinlich und Fremdschämen gibt es für mich kaum, doch in diesem Moment würde ich mich am liebsten in Luft auflösen oder flüchten. Wie kann man bitte die eigenen Kollegen in der Öffentlichkeit so anklagen? Oder sogar über sie urteilen und den Richter spielen? Nochmals blicke ich nach hinten und erkenne seine Wut im Gesicht, es ist knallrot angelaufen. Er packt seinen Rucksack und verlässt den Raum, einfach so und wir alle anderen sitzen hier und hören uns den Vortrag an. Wie kann das nur sein? Wie gerne würde ich jetzt mit ihm tauschen.

© Petra Baumann 2022-06-08

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