DENKEN mit dem H e r z e n

Hermann Exenberger

by Hermann Exenberger

Story

Zurzeit regiert weitgehend die Vernunft. Sie diktiert die Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckungsgefahr nach all den Lockdows bisher. Sie diktiert jene Regeln, die helfen sollen, die Anzahl der Erkrankten so gering wie möglich zu halten und jene zu schützen, die besonders gefährdet sind. Wir alle tun gut daran, diese Regeln zu befolgen und der Vernunft zu gehorchen. Derzeit gibt es ja schon ca. 13.800 Personen, die verstorben sind.

Aber, so meine ich halt, die Vernunft ist nicht alles. Immer deutlicher wird, dass es zur Gestaltung des Zusammenlebens auch etwas anderes braucht als die von der Vernunft diktierten Maßnahmen. Es braucht das Herz. Es braucht ein Herz, das nicht nur in all seiner Eigenliebe für sich selbst und das Eigene schlägt, sondern sich gleichermaßen in hingebungsvoller Zuneigung dem Anderen öffnet. Ich meine, damit, so wie wir gelernt haben, auf die Vernunft immer besser zu hören, werden wir lernen müssen, auf unser Herz zu hören.

“Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt, das erfährt man in tausend Fällen.”(Blaise Pascal, Fragment 277) Blaise Pascal, der wirklich große Mathematiker und Denker, der tiefe Mystiker, er wusste etwas von einer Vernunft des Herzens. Sie weiß mehr und anderes als die Vernunft des Verstandes. Um in der gegenwärtigen Krise bestehen zu können, bedarf es vermutlich beider Kräfte. Krise bedeutet Gericht, und die Naturkatastrophen, von denen wir gegenwärtig heimgesucht werden, sind ein Gericht. Sie zeigt uns klar, dass wir nicht die Herren der Welt sind. Was uns heimsucht, ist kein Gericht Gottes, sondern ein Aufstand der Natur. Er kann uns helfen, unsere Beziehung zur Natur, zur eigenen und zur nicht menschlichen, und unsere Verantwortung dieser Natur gegenüber neu zu ordnen. Er kann uns helfen, wieder neu zu dem zu finden und zurückzukehren, was uns als Menschen ausmacht. Wir sind Körper und Geist, wir haben Verstand und Herz. Auch ist uns bekannt, dass wir zerbrechliche Wesen und darauf angewiesen sind, zärtlich und sorgfältig den Körper wie den Geist zu pflegen, den Verstand wie das Herz zu formen.

Derzeit, so ist meine Wahrnehmung, stehen die materiellen Belange des Zusammenlebens ganz vorne. Die Wirtschaft dominiert das Denken. Alle Kräfte des Verstandes werden angespannt, um das materielle Funktionieren des Systems zu gewährleisten. Doch das genügt nicht. Das Herz ist nicht nur ein Muskel, sondern auch anderes und mehr. Mir fällt auf, dass es in der gegenwärtigen Krise um Religion und Kunst merkwürdig still geworden ist. Beides spielt im öffentlichen Diskurs keine nennenswerte Rolle. Es wird erwartet, dass sich die Kirchen und Kunstschaffende den von der Vernunft diktierten Regeln unterwerfen. Ich denke, das geschieht auch vernünftigerweise. Aber werden beide Bereiche auch zu Rate gezogen, wenn es darum geht, in dieser Krise zu bestehen?

“Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.” Wir sollten neu lernen, mit dem Herzen zu denken.

© Hermann Exenberger 2022-01-03