Es war ein wunderbar erfrischender Sommertag, einer von den leichten, die die wir uns so oft wünschen, die wir oft erleben aber nie wahrnehmen, weil wir immer denken wir brauchen noch mehr, weil wir uns nie zufriedengeben können. Darüber denke ich oft nach, dass wir immer erst rückblickend erkennen, wie schön manche Momente doch sind, doch wir sind immer so sehr damit beschäftigt, nach Glück und Erfüllung zu suchen, dass wir nicht sehen, dass es oft zum Greifen nahe ist.
Jedenfalls war dieser Tag leicht. Befreiend. Unvergesslich inspirierend. Ich sitze auf einer von weißen Hussen ummantelten Bank und schaue nach oben, durch die Blätter des massiven Walnussbaumes über mir hindurch in den blauen Wolkenhimmel. Ich liebe diese gedankenverlorenen Momente, in denen nichts präsenter ist als der Moment an sich. In denen auch ich es schaffe, meine Gedanken für einen Moment ruhen zu lassen, mich fallen zu lassen, einfach zu sein. Ich verliere mich, während ich in den Himmel schaue, in der Schönheit des Augenblickes und vergesse für einen Moment die letzten Monate. Zack. Die letzten Monate. Da waren sie wieder, da brechen sie wieder wie eine riesige Welle über mich herein.
Aber dieses Mal ist es anders. Ich hatte mich die letzten Stunden auf dieser Feier lange und intensiv mit Maya unterhalten, sie ist die Tante des Bräutigams, 63 Jahre alt und obwohl ich sie heute zum allerersten Mal gesehen habe, ist sie mir so unfassbar vertraut und gibt mir ein Gefühl, ich selbst sein zu dürfen, ein Gefühl, welches mir nur wenige Menschen in meinem Leben geben- zumindest denke ich das immer.
Ich hatte ihr innerhalb der letzten Stunden mein halbes Leben anvertraut, sie hatte eine Art an sich, die mir ermöglicht, mich sicher und frei zu fühlen und alles erzählen zu können, einfach drauflos. Sie hat mir zugehört, die ganze Zeit, sie hatte nachgedacht über meine Worte, das habe ich gesehen, in ihrem Blick, an ihrer Gestik und das Erstaunliche ist, dass es sie sogar zu interessieren schien.
Und letztlich hatte sie mir gesagt: “Claire, hör zu. Du bist zu hart zu dir selbst, viel zu hart. Versuche bitte, ich bitte dich darum, versuche in alle Monate, in alle Geschichten noch einmal hineinzugehen, hineinzublicken, auf dich, auf das Geschehene und versuche, dich aus einer anderen Perspektive anzusehen, versuche für dich da zu sein, dir zu helfen. Sieh dich an als wärst du eine Freundin, sprich zu dir wie du zu einer Freundin sprechen würdest, sei nicht so verdammt hart zu dir. Sei da- für dich, reiche dir die Hand.”
Und genau jetzt, in diesem Moment, als alles wieder über mir zu zerbrechen droht, schließe ich die Augen und versuche, zum allerersten Mal seit unglaublich langer Zeit, für mich da zu sein, in jeder einzelnen Geschichte, in jeder einzelnen, verdammt schmerzhaften Geschichte des letzten Jahres.
© Sarah Angelmahr 2022-08-31