Es war eine gefühlte Ewigkeit, die ich auf der roten Küchenbank verbrachte und über meinem Aufsatz brütete. Dieses Bild ließ erkennen, dass Freitag war. Jeder Freitag wurde mit einem Aufsatz als Hausaufgabe verschandelt. Mama war schon längst mit ihrer Hausarbeit fertig gewesen. Sie nahm am Küchenhocker neben mir Platz, um mir zu helfen. Ich war verzweifelt und zeigte diese Verzweiflung theatralisch. Ich war den Tränen nahe, denn heute sollte es wieder ein Erlebnisaufsatz werden. Worüber bitte soll eine Achtjährige schreiben? Was hätte ich in meinem kurzen Leben bisher erlebt, das eine ganze A5 Seite füllen könnte? Die Geschichte sollte überdies einer wahren Begebenheit zugrunde liegen. Ich habe mich sogar getraut zu fragen, ob ich den Inhalt wirklich erlebt haben muss. „Es muss wahr sein können”, antwortete meine Lehrerin knapp. Das machte die Sache für mich nicht leichter. Ich war acht und mit dieser Aufgabe massiv überfordert. Erschwerend kam hinzu, dass ich im Dialekt des Weinviertels sozialisiert worden bin. Hochdeutsch war mir noch eher fremd. Und suspekt, weil niemand unserer Verwandten oder Freunde diese Sprache verwendete. Die Rechtschreibung war das eine, die Grammatik das andere Problem. Mama aber verbesserte all meine Hausaufgaben richtig und verschönerte sie mit einer gemalten Zierzeile. Ich glaube, dass Mama dabei immer ganz kurz in Trance war, wenn sie diese bunte Zeile malte. Fasziniert und unendlich dankbar sah ich ihr dabei zu. Woher sie das alles wusste und konnte war mir damals ein Rätsel. Meine Mama ist die Beste!
Ein paar Jahre später spürte ich den Drang, meinen ersten Liebeskummer in Form eines Gedichtes zu verarbeiten. Immerhin hatte ich nun schon einiges erlebt! Ich setzte mich zum Schreibtisch und hatte binnen kürzester Zeit ein wunderschönes Gedicht verfasst. Der Liebeskummer blieb noch ein wenig, aber ich fühlte mich besser. Da mein Leben glücklicherweise nicht nur aus Liebeskummer bestand, wagte ich mich auch an andere Themenbereiche heran. Plötzlich fand ich schnell und leicht die passenden Worte und schrieb diese mittlerweile auch richtig. Oft sprudelte es nur so aus mir heraus. Ich brachte es zu Papier und gab dem Ausdruck, was ich nicht hätte sagen können. Im Schreiben fand ich eine wichtige Säule, an der ich festhielt.
Obwohl ich mittlerweile weder schüchtern noch wortkarg bin, so fällt es mir immer noch leichter, Gefühle, Situationen oder Erlebnisse aufzuschreiben. Wenn es am „Papier“ steht, dann ordnet sich etwas in mir. Diese Ordnung gibt mir Klarheit. Und mit dieser Klarheit kann ich dann nach außen gehen.
Ich denke oft an die achtjährige Monika zurück, die an ihren Aufsätzen verzweifelte. Mama und ich lachten später darüber auf sehr liebevolle Weise. „Und das haben wir auch geschafft“, sagte sie dann. Gemeinsam ja. Danke Mama, dass du damals meine Verzweiflung mit mir ausgehalten und mir deine bunte Zierzeile in meine Hefte gemalt hast.
© Monika Peer-Hochstöger 2022-08-30