der Augarten

Manuel Woess

by Manuel Woess

Story

Es gibt Orte auf dieser Welt, die sind ganz besonders. Der Wiener Augarten gehört ohne Zweifel zu diesen besonderen Orten. Egal ob wir ihn majestätisch über sein Haupttor betreten oder uns über die Wasnergasse einschleichen, in jedem Fall betritt man eine Welt, die so Bunt ist wie der Laubteppich, der uns hier im Herbst zu Füßen liegt.

Quer kreuzend durch seine Alleen spazierend, begegnen wir hier Menschen aller nur möglichen Gesellschaftsschichten, aller Hautfarben und aller Altersgruppen. Menschen, welche einer derartige vielzahl von Beschäftigungen in diesem Garten verüben, das ich hier aus Platzgründen gar nicht alle aufzählen kann. Während sie Ihre Bälle jonglieren, Ihre Bocciakugeln werfen oder Ihr liebstes Buch lesen, nehmen sie keinerlei Notiz von dem, was ausserhalb der Parkmauern geschieht. Vollkommen fokussiert auf Ihr tun, auf jetzt und hier!

Es scheint gerade so, als hätten sie am Eingang ein magisches Tor durchschritten. Die Menschen verhalten sich hier zueinander so rücksichtsvoll als wären sie gerade auf einer Garten-Party mit Ihren Freunden. Fast könnte man meinen, sie haben sich die Inschrift am Haupttor zum Motto erwählt: “Allen Menschen gewidmeter Erlustigungsort”. Negative Gedanken oder ungestümes verhalten scheinen hier nicht nur verboten zu sein, sondern werden hier, von der meist so grantigen Wiener Seele, schlichtweg ignoriert. Gerade jetzt, in einer Zeit wo die Natur nackt und zerbrechlich wirkt und die wunderschöne Gartenarchitektur des Augarten ihr buntes Kleid verloren hat, zeigt sich seine Besonderheit.

Errichtet von Menschen, um Menschenleben zu zerstören, geraten in dieser tollen Umgebung zwei “mächtige Monster” zu schlafenden Riesen. Zwei riesige Flaktürme, meist nur mit einem Kopfschütteln ob des Größenwahns Ihrer Errichter bedacht, geraten hier zur Herberge für verschiedene Vogelarten, welche in den Türmen einen Brut-, Schlaf- und Spielplatz gefunden haben.

So schließt sich ein Kreis, wo sich Mensch und Mensch sowie Mensch und Natur, Ihrer Koexistenz bewusst sind, aber lediglich die schiere Akzeptanz der Anwesenheit des jeweils anderen auch die einzige und wichtigste Notiz voneinander ist.

Ich sitze mit meiner Frau auf einer Holzbank in der Mitte der Fläche vor dem grösseren Flakturm, trinke eine Tasse Punsch und schwenke meinen Blick von den Vögeln über die akkurat gepflegte Gartenarchitektur zu den Menschen, die uns hier umgeben.

Die Wahrnehmung ist hier eine andere. Und wir alle sind froh, hier zu sein – an einem besonderen Ort dieser Welt!

© Manuel Woess 2021-01-11