DER DOLORES

PETER MANDL

by PETER MANDL

Story

Obwohl unsere Idole bereits James Dean und Tommy Steele hießen, war es in den 50ern in Wien kaum möglich, ohne “Schale”= Anzug irgendwo hineinzukommen. Diskotheken gab es noch nicht und vor dem Tanzpalast des Volksgartens verlieh Chef Peter Böhm persönlich Krawatten an die NachlĂ€ssigen. Wie aber sollte sich der mĂ€nnliche Halbwuchs, die Viertelstarken, von den Erwachsenen unterscheiden?

Richtig: man ließ sich vom Dolores einkleiden. Der Dolores am Matzleinsdorferplatz stellte Maßkleidung zu durchaus jugendgerechten Preisen her, die sich zu hundert Prozent vom elterlichen Gewand unterschied. Waren dort die Stulpenhosen so weit, dass sie nach dem Ausziehen von selbst in der KĂŒche stehen blieben, schneiderte sie der “Dorli” so eng wie möglich (mein Vorteil: kleine Schuhnummer) und ohne Stulpen. Diese wurden hinwiederum auf die Ärmel der Sakkos appliziert.

Papas Jacke war lang, die unsrige dafĂŒr umso kĂŒrzer und knapper, seine Hemdkragen schweiften weit und schmal nach unten, unsere waren möglichst hoch (Strangulierungsgefahr!) und horizontal geschnitten. Die Krawatten statt amerikanisch breit so schmal wie ein Schuhbandl. Und eh ichs vergess’: Bei den Schuhen gabs kein Pardon. Es mussten unbedingt die spitzigen und sĂŒndteuren “Milano-Bock” vom Dusl auf der Simmeringer Hauptstraße sein!

Wenn ich dann Sonntag nachmittags zu Fuß mit elegantem Spazierstock-Schirm die vier oder fĂŒnf Kilometer in die Innenstadt “strandelte”, ließ ich je nach GefĂŒhl und jeweiliger Weltanschauung die erzreaktionĂ€re “ Die Presse” oder die kommunistische “Volksstimme” aus der linken Jacketttasche schauen. In der Innentasche befand sich LektĂŒre fĂŒr Park oder Tramway: Kafka, Sartre, Hesse, auch Reclam-Hefte aus der DDR mit Texten des gefĂ€hrlichen Augsburgers Bertolt Brecht. Man durfte halt nicht den Kommunistenfressern Hans Weigel oder Friedrich Torberg ĂŒber den Weg laufen. Tante Joleschs Krautfleckerln schon.

Die spĂ€ter auch von mir kultivierte Langhaarmode kam erst um 1964 mit den Beatles, wir bereiteten aber, ohne als sogenannte Schlurfs gelten zu wollen, den Boden schon damals, indem wir die Haare möglichst weit ins Genick hinunterwachsen ließen. Das heißt, so lang, wie es die Eltern erlaubten und die Professoren gerade noch aushielten. Wenn ich die heilige StĂ€tte unseres Bezirksfigaros betrat, ließ Herr Ruf den Ruf erschallen: Koarl, hol’s Hackl!

Die Weltanschauung begann sich bei mir in turbulenter Zeit auch schön langsam und dialektisch zu entwickeln. Ich verehrte Blue Jeans, Gary Cooper und Bill Haley genauso wie Karl Marx, die “Internationale” und Wladimir Iljitsch Lenin. Es neigte sich dann bald ein wenig in Richtung meiner proletarischen Wurzeln, indem ich weder der schnöselhaften Austria noch der brutalen Rapid, sondern dem 1.Simmmeringer SC meine bis heute anhaltende Gunst schenkte.

Versunkene, vielleicht nicht bessere, aber sicherlich gemĂŒtlichere Zeiten!

© PETER MANDL 2021-01-24