by Eva Brandner
Helena war seit 1 Woche in ihrer Heimat in Südspanien unterwegs. Sie merkte, dass sie nach all den Jahren des Mutterseins sich teilweise selbst verloren hatte. Jetzt waren die Kinder groß und begannen ihre eigenen Wege zu gehen. Der Aufenthalt im Dorf ihrer Großmutter gab ihr Kraft, um Altes loszulassen und den Fokus auf etwas Neues zu setzen. Beim Besuch eines Wochenmarktes schlenderte sie neugierig über den Platz und sie erfuhr von einem wunderbaren jährlichen Lavendelfest.
Die Luft war erfüllt vom Duft frischer Kräuter, Blumen, Gemüse und Obst und zwischen den bunten Ständen summte das Leben in voller Pracht. In diesem Moment spürte sie, dass hier etwas auf sie wartete. Eine neue Richtung, ein neuer Sinn, eine neue Lebendigkeit. Seit einiger Zeit suchte Helena nach einer neuen Aufgabe und fühlte sich noch viel zu aktiv, um in ihrer Pension nur in den Tag hineinzuleben. Etwas, dass sie nicht nur erfüllte, sondern auch für andere Menschen von Bedeutung war. Etwas Sinnstiftendes und Bereicherndes zugleich.
Als sie an einem Stand mit handgefertigten Lavendelkissen stehenblieb, kam sie in ein Gespräch mit einer älteren, geheimnisvollen Kräuterfrau mit leicht wettergegerbtem Gesicht und weisen, warmherzigen, braunen Augen. “Ah, du liebst also auch Lavendel?” begann die Frau lächelnd. “Es beruhigt nicht nur die Sinne und unseren Tempel Körper, sondern trägt Jahrhunderte an Wissen in sich. Die Menschen haben nur vergessen, was Achtsamkeit bedeutet und wie sehr uns die Natur zu Wohlbefinden verhelfen kann. Alle sind nur noch hektisch, gestresst und ihr Nervensystem ist so überreizt, dass viele im Burn-Out landen.”
Helena nickte. Genau in dem Moment sah sie wie Jugendliche mit gesenktem Kopf über ihr Smartphone wischten, nicht einmal die Menschen um sich herum registrierten, während sie achtlos an den Schätzen der Natur vorbeigingen. Da wusste sie: Sie wollte etwas beisteuern. Sogleich fiel ihr ein Zitat von Immanuel Kant ein: “Ich kann das, weil ich will. Ich will das, weil ich kann.”
Die Kräuterheilerin zeigte Helena ihr kleines Paradies – eine kleine Hütte voller getrockneter Blüten, Wurzeln, Kräutern, ätherischen Ölen, Tinkturen, Hydrolaten und Mazeraten. Der Anblick war atemberaubend und aufregend zugleich. Sie erfuhr von alten Traditionen, von Salben und Seifen, die nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Seele pflegten.
Fasziniert von diesem Wissen und voller Tatendrang beschloss Helena, selbst eine kleine Werkstatt ins Leben zu rufen, in der sie auch inspirierende Workshops für Jugendliche anbot. Am Ende des Sommers füllten sich die ersten Erntekörbe ihres eigenen Lavendelfeldes. Während man mit den Händen arbeitet, heilen auch alte Wunden. Lavendel duftete nach Veränderung, nach Neubeginn und Helena schmunzelte. Sie hatte nicht nur eine neue Bestimmung gefunden, sondern auch einen Weg, das alte Wissen in die Zukunft zu tragen.
© Eva Brandner 2025-03-09