Bei der Besichtigung des Camposanto in Pisa zeigte mein Schwager Nigel aus London plötzlich auf die Gestalt eines Mannes und rief begeistert: âLook at this! Thatâs St. Jerome!â. Wir staunten nicht schlecht und wollten erfahren, woher er das denn wisse. Als mĂŒsste uns das lĂ€ngst bekannt sein antwortete er: âIâm an expert on St. Jerome!â WĂ€hrend meine SchwĂ€gerin, mein Mann und ich fieberhaft ĂŒberlegten, wie und wann er zu einem Hieronymus-Experten wurde, endete das Expertentum abrupt. Denn Nigel grinste, zeigte auf einen Schriftzug und gestand: âes steht da unten, ich hĂ€tte es auch nicht gewusstâ. Dieser völlig unerwartete SpaĂ brachte uns alle vier herzhaft zum Lachen.
Wer jetzt aber glaubt, damit habe sich der Heilige Hieronymus wieder aus unserem Leben verabschiedet, irrt. Bereits wenige Tage spÀter in den Uffizien tauchte er mehrfach wieder auf.
NatĂŒrlich versammelten wir uns dann zu viert vor dem Bild und lieĂen uns dieses vom âHieronymus-Expertenâ erklĂ€ren. Von Beruf Lehrer schĂŒttelte Nigel mĂŒhelos eine Bildbeschreibung samt Interpretation aus dem Ărmel. Bei einem GemĂ€lde erkundigte sich sogar ein anderer Museumsbesucher, ob der Experte das Bild auch fĂŒr ihn und seine Freundin erklĂ€ren könnte.
Wir lernten schnell, dass Hieronymus hĂ€ufig mit einem Stein in einer kargen Landschaft dargestellt wird, den er an seinen Oberkörper zu klopfen scheint. Diese Art der Darstellung zeichnet ihn als Asketen und BĂŒĂer aus. Zu unserer Erheiterung kĂŒndigte unser Schwager nach einem opulenten Abendessen an: âUnd jetzt bitte vier Steine, wir mĂŒssen zwei Tage zu St. Jerome fasten gehenâ.
Eine hĂ€ufige weitere Art der Darstellung zeigt ihn mit scharlachrotem Kardinalshut und Talar, in der Hand ein Buch oder sitzend an seinem Schreibpult. Diese Attribute erhielt er, weil er sich als Ăbersetzer zahlreicher religiöser Schriften groĂe Verdienste fĂŒr die Kirche erwarb, er gilt als der gelehrteste der vier lateinischen KirchenvĂ€ter.
Einem hinkenden Löwen soll er einen Dorn aus der Pranke gezogen haben, worauf dieser zu seinem Haustier wurde. Vielfach wird Hieronymus deshalb mit einem Löwen abgebildet.
Wir genossen noch etliche unvergessliche Reisen mit meiner SchwĂ€gerin und ihrem Mann aus London, in denen das Lachen nie zu kurz kam. In den herrlichen StĂ€dten in Italien oder Spanien bewunderten wir PlĂ€tze, alte Bauwerke sowie KunstschĂ€tze in Museen und Kirchen. Die Aufmerksamkeit fĂŒr den Hl. Hieronymus blieb uns als kleine, humorvolle Konstante aber erhalten. Jede rot gekleidete Gestalt mit oder ohne Löwe wurde und wird einer PrĂŒfung unterzogen und BĂŒĂer in kargen Landschaften und Höhlen ebenfalls.
Zu meiner groĂen Ăberraschung fand sich am 30. September, dem Gedenktag des Heiligen fortan jeweils eine prĂ€chtige Kunstkarte oder ein Foto in unserer Post.
© Martina Naschberger 2022-09-02