by Ambra
Der Geruch, der ihr der Liebste war, würde in vielen Menschen und das nur allzu verständlich Ekel und Abwehr heraufbeschwören. Für Clara war er wie der Duft des besten Parfums der Welt, erschaffen aus Pflanzen, die es nicht gab und die, wenn es nach der Menschheit ginge auch sicherlich keine Existenzberechtigung erhalten würden. Ein Schwall für ihre Nase, kreiert aus Sehnsucht und dem ersten großen Gefühl, das so alt wie das Bestehen der Erde ist, der Liebe.
Dieser Geruch haftete in einem finsteren Gang, an dessen Decke das Thermalwasser durch die Rohre flutete. Die alten knarrenden Holzdielen verrieten trotz des schweren roten Teppichs, der den ganzen Flur entlang lag, ihre heimlichen Schritte. Obwohl es nur eine einzige splitternackte Glühbirne gab, die mehr schlecht als recht gegen die Dunkelheit ankämpfte, fand sie es nie unheimlich. Nein sie liebte es, sie fühlte sich beschützt, willkommen und von dem Geruch an ihr wichtigstes Ziel getragen.
Jedes Mal, wenn Clara diesen Gang betrat, blieb sie stehen und sog diesen Duft mit geschlossenen Augen ein. Nichts konnte es mit dem Gefühl aufnehmen, das dieser Geruch in ihr auslöste und niemand würde es jemals verstehen, wie sie unter all den Gerüchen, die die Welt zu bieten hatte, genau jenen für sich auserkoren hatte… die Mischung aus Moder und dem Radon durchwirktem Geruch des Thermalwassers, abgerundet durch den verstaubten alten roten Teppich und das alles aufgebahrt in einem schummrigen Gang. Wenn sie dann am Ende ihres Weges die Tür aufzog, fand sie sich in seinem Zimmer wieder, das bloß aus einem Bett und einer zu einem Regal umfunktionierten Nische bestand, aufgehübscht durch einen winzigen Tisch neben dem Fenster. Aber diese Kammer war so durchflutet von Licht, dass sie einem das Gefühl und die Größe eines Ballsaales vorgaukelte. Meist war Klara als Erste da und dann tat sie das, was man schlichtweg als Ouvertüre verstehen konnte. Sie öffnete das zweiflügelige Fenster, beugte sich über das halbhohe schmiedeeiserne Geländer und schloss die Augen. Sie tauchte ein in das wilde Rauschen und zog eine Frische durch ihre Nase, wie sie nur die Natur zu erschaffen imstande war und erst wenn sie den Sprühregen im Gesicht fühlte, öffnete sie die Augen und ließ sich von dem herabstürzenden Wasserfall vor dem Fenster gefangen nehmen und sie wusste, diese Augenblicke, diese Gerüche würden ewig eins mit ihr sein, mitgetragen, so wie ihre erste Liebe. Sie war 15 und sein erstes Geburtstagsgeschenk an sie war ein Parfum…Le Jardin…von Le Jardin war nur der Name geblieben… das Parfum hat sie nie wieder irgendwo gesehen, nur der Name hatte sich in ihrem Kopf eingebrannt, aber der Geruch, der sie an diese Zeit fesselte, war nicht der des Gartens, es war Moder, Wasser und Staub, das war der Geruch, der Deschavüs gebar. Manches Mal stieg er ihr oft viele Jahre später so unerwartet in die Nase, dass sie abrupt innehielt, die Augen schloss, tief einatmete und mit einem wissenden Lächeln energisch nach vorne ging und dem Mädchen aus der Vergangenheit, das nun in ihren Gedanken diesen dunklen Gang durchschritt, zuwinkte.
© Ambra 2024-03-24