Der Geschmack von “Tropical Fruit”-Bonbons

Svenja Fojut

by Svenja Fojut

Story

Ich war gestern einkaufen. Famoser Einstieg, ich weiß, aber das ist es nun einmal, womit diese Geschichte beginnt. Ich war also einkaufen, schob meinen Wagen durch die Gänge und lief an einem Stand vorbei, an dem ich jedes Mal vorbeikomme, wenn ich für meine Oma einkaufen gehe. Es gibt dort nur eine Sache: Verschiedene Arten von Bonbons. Eigentlich werfe ich immer nur einen flüchtigen Blick auf diesen Aufsteller und gehe dann weiter. Gestern aber blieb ich stehen, und da sah ich sie: Eine metallene Dose, mit einem bunt bedruckten Deckel. “Tropical Fruit”-Drops. Das mag für die meisten Menschen keine große Sache sein. Für mich aber schon, denn diese Bonbons gab es immer bei meinen Großeltern im Auto.

Als ich noch in die Schule ging, hat mein Opa mich häufig nach dem Unterricht abgeholt. In meinen Erinnerungen trägt er dabei immer dieselbe beige, ausgeblichene Jacke, egal ob im Sommer oder im Winter, darunter einen seiner berühmten Pullunder. Neben ihm steht mein wunderbarer Bearded Collie, Trixi, und ich schwöre, sobald sie mich über den Schulhof hinweg sahen, haben beide über beide Ohren gegrinst, Opa und Hund. Egal wie es ihm selbst ging, war immer das Erste, was mein Opa wissen wollte, wie es bei mir aussah, ob ich einen schönen Tag gehabt hätte – und natürlich, was ich im Unterricht gelernt habe. Bildung war ihm wichtig. Wissen ist Macht und so, aber viel wichtiger war ihm, dass es mir gut ging. Und so erzählte ich ihm von meinem Tag und egal, ob ich fröhlich, traurig, bockig, zickig war – oder welche Stimmung man auch immer bei seiner Enkeltochter im Alter von etwa 6-15 Jahren mitnimmt – auf dem Weg zu dem Haus meiner Großeltern gab es immer “Tropical-Fruit”-Bonbons. Im Sommer waren sie derart aneinandergeklebt, dass ein Bonbon genau genommen ein Konglomerat von mindesten fünf ineinander geschmolzenen Drops war, und im Winter musste man aufpassen, dass man beim Hineinbeißen keinen Zahn verlor, aber das war völlig egal. Sie gehörten zu der Autofahrt nach der Schule und häufig gab mir mein Opa einen zweiten Drop und sagte dann: „Erzähl aber deiner Oma nichts davon. Sie wartet schließlich mit dem Essen auf uns.”

Ich erzählte meiner Oma selbstverständlich nichts, ebenso wenig wie ich meinem Opa jemals sagte, dass zwei Bonbons nicht meine Fähigkeit beeinträchtigten, normales Mittagessen zu essen. Es sei denn sie verklebten mir im Sommer den Mund.

Irgendwann war ich alt genug, nach der Schule allein auf mich aufzupassen und noch viele Jahre später hörte mein Opa auf Auto zu fahren. Es gab keine Drops mehr und ich muss zugeben, dass ich sie ein wenig vergessen hatte – bis gestern. Da kaufte ich mir eine Dose, stellte sie mir ins Auto und lutschte einen Bonbon. Was soll ich sagen. Sie schmecken noch immer knalle süß. Aber vor allem schmecken sie nach Kindheit und Liebe.

© Svenja Fojut 2022-07-31

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