by gabrielle_b
Ein echter HaarkĂŒnstler ist er, am schmuddeligen Berliner Bahnhof Zoo, völlig vertieft ins Frisieren meiner Haare. Ich sitze in der hektischen Halle , direkt vor einer BĂ€ckerei, die uns wohlriechende DĂŒfte zuwirft. Es ist spĂ€ter Sonntagnachmittag. Mein KĂŒnstler und ich kommen gerade von einem Ausflug am Wannsee zurĂŒck. âKaufen wir noch ein fĂŒr Deine nĂ€chtlichen NaschanfĂ€lle?â schaue ich ihn fragend an. Aus diesem Grund machen wir vor den leckeren Auslagen Halt,als er plötzlich ausruft: âKomm SĂŒsse, setzâ Dich erstmal hin. Ich habâ grad âne Idee!â zĂŒckt eine HaarbĂŒrste aus seinem edel-lĂ€ssigen ungebĂŒgelten Jackett und beginnt, in meinen Haaren herumzuwĂŒhlen. LeichtfĂŒssig tanzt er um mich herum und lacht: âDass Dir im Bahnhof die Haare gekĂ€mmt werden, hast Du wohl auch noch nicht erlebt?â In der Tat! Mit ihm lassen sich solche VerĂŒcktheiten anstellen. Als sei es das SelbstverstĂ€ndlichste von der Welt, sitze ich in der schmuddeligen Bahnhofshalle am Fussboden mit Zeitung unter’m Po âbeim Friseurâ. Vorbeiziehende Menschen schauen uns an, interessiert, erstaunt, nie abfĂ€llig. Rundherum, trotz der Schnelligkeit im Bahnhof, lĂ€chelnde Gesichter. Wir lĂ€cheln zurĂŒck. Eine Ă€ltere Frau lĂ€sst sich sogar zu neckischen Bemerkungen hinreissen: âIck glob dit ja nisch. Sie können mir och gleich ‘ne neue Frisur zaubern. Da wĂ€r ick ja nich abjeneicht.â Sich nicht stören lassend, wirbelt er weiter in meinen Haaren herum, Eine Zigarette hĂ€ngt lĂ€ssig aus seinem Mundwinkel. Jetzt modelliert er geschickt und fachmĂ€nnisch Gel in sein Werk, fĂŒhrt die BĂŒrste zielstrebig ĂŒber die Kopfhaut. âAu, das ziept!â Vorsichtiger fĂ€hrt er fort mit seinem Kunstwerk. Noch nicht zufrieden, holt einen Taschenkamm aus seiner Hosentasche, zieht nun einen Seitenscheitel. Doch nicht alle Haare streng nach hinten -drapiert geschickt StrĂ€hnen in alle Richtungen. Neues aus KĂŒnstlerhand erwartet mich. Neugier packt mich. Werde ich mich wieder erkennen? Ein weiterer Druck auf die Geltube und Massen davon verschwinden im Haar. Seine Handbewegungen fĂŒhlen sich gut an. Nochmal zerreibt er diese FlĂŒssigkeit, wirbelt dann alles wieder durcheinander. UnerschĂŒtterlich ist er ins Gestalten vertieft, Die Umwelt ist ihm vollkommen schnuppe. Welch wunderbare Haarmassage! Ich aale mich innerlich wie eine Katze, die grade warme Milch erhalten hat und nun zĂ€rtlich gestreichelt wird. FĂŒr einen Moment ist die Welt in Ordnung. âSchau mal, das Asymmetrische gefĂ€llt mir gut, aberâŠâ ein kritischer Blick von oben: âNimm doch mal Deinen zweiten Ohrring âraus.â Endlich scheint sein Werk fertig zu sein. âMan kann sich immer wieder selbst neu entdecken und damit spielen,â so sein abschliessender zufriedener Kommentar. Wo ist der nĂ€chste Spiegel? Um die Ecke am Passfotoautomaten. TatsĂ€chlich, ein fremdes Ich, das mir sofort gefĂ€llt, schaut mich an. âSieht das ja genial aus!â sprudelt es aus mir heraus. Danke geliebter Privatfriseur! Was zaubern wir als NĂ€chstes?
© gabrielle_b 2022-02-12