Die Reise geht weiter.
Die nächste Station auf seinem Zettel fĂĽhrt den Jungen zu einer buckeligen Frau mit vielen Falten im Gesicht. Sie hat noch KĂĽhe, die gemolken und Eier die gesammelt werden wollten.Â
„Mein alter Körper lässt mich im Stich“, fasste sie ihre Situation zusammen.
Den Großteil der Erträge verkaufte sie, aber auch sie und der Junge aßen die Eier und tranken die Milch. Sie lehrte ihm, wie man Butter macht und die alten Kühe kamen zum Schlachter. Einmal die Woche ging er ins Dorf hinunter und kaufte Brot.
Das selbe Essen, die selbe Arbeit und die Alte redete wenig. Als der Junge es vor Langeweile kaum aushielt, fand er in seinem BĂĽndel ein kleines Notizbuch. Wieder ertönte die vertraute Stimme: “Du sollst wissen, dass fĂĽr dich gesorgt ist. Mehr gibt es gerade nicht zu tun. Keine Tat ist jemals sinnlos”.
Auch wenn er nicht wirklich verstand, was ihm das sagen sollte, verabschiedete er sich auch von diesem Ort und wanderte noch drei weitere Monate. Am letzten Hof traf er auf ein Paar. Sie waren deutlich jĂĽnger, doch der Mann hatte keine Beine mehr und seine Frau sorgte fĂĽr ihn. Deshalb brauchte sie Hilfe bei der Hausarbeit.
Bei Ihnen fĂĽhlte sich der Junge am wohlsten. Sie waren liebevoll, der Mann brachte ihm das Zeichnen bei und von der Frau lernte er zu kochen.
Diese Art von Beziehung war ihm unbekannt und ein Teil von ihm wollte fĂĽr immer hier bleiben. In der letzten Vollmondnacht vor der Abreise fand er eine Taschenuhr in seinem BĂĽndel. Die Stimme hatte wieder eine Nachricht fĂĽr ihn: “Du hast die Liebe kennengelernt und es ist Zeit, dass du sie findest. Das Echte fĂĽhlt sich immer nach zu Hause an”.
Der letzte Abschied war der Schwerste, doch in seinem BĂĽndel befanden sich nun Weisheit, Geduld und Zuversicht.
Dann kam er hierher und ein Jahr drauf lernten wir uns kennen.
Oma Maria hielt immer noch die Hand ihres Mannes. Das Mädchen hatte der Geschichte gespannt gelauscht. “Ich habe ihn getroffen und wusste: Ich will ihm ein sicheres und liebevolles zu Hause geben. Er soll es nie wieder so schwer haben “, fuhr sie fort.
Das Mädchen sah, wie die Hand ihres Opas die Hand ihrer Oma drückte, mit der letzten Kraft, die er aufbringen konnte. Stille. Tränen.
“Du hast ihm eine neue Heimat gegeben”, sagte schlieĂźlich das Mädchen.
Es war Zeit das Krankenhaus zu verlassen. Sie gingen schweigend, Seite an Seite die Treppe hinunter.
Am Parkplatz angekommen läutete das Handy:
“Ihr Mann ist so eben friedlich verstorben”.
Wir alle tragen Geschichten in uns, die erzählt werden wollen. Sie sind Teil der Familie und erzählen von der Ungewissheit und vom Ankommen. Wenn wir unsere dunkelsten Kapitel teilen, dann werden sie heller und bekommen Flügel um mit dem Wind in die Unendlichkeit zu segeln.
© Linda Koprowski 2024-07-06