Zürich besucht man nur, wenn man Geld zum Ausgeben hat. Auch wenn dieses Sprichwort schlicht erfunden ist, spricht es eine alte Weisheit an: Neben ein bisschen See und ein bisschen Kirche kommt man ohne Geld in der Schweiz zu keinem Erlebnis. Die Bewohner selbst kennen das, ist doch hier auch die Gesundheit nach US-Vorbild Privatsache des Bürgers und der Bürgerin.
Selbst die Tauben sind anders als die, die ich kenne. Ich werfe ihnen Krümel von meinem frisch ersteigerten Gebäck zu, sie nehmen es nicht an. Sind ihnen die simplen Brotarten einer gewöhnlichen Bäckerei etwa nicht fein genug? Ich beobachte zweifelnd die Gruppe an Gourmet-Tauben und versuche, zu verstehen, was an meinem Angebot nicht stimmt. Ich lasse meinen Blick durch die Stadt schweifen. Wer gerade nichts kaufen will, der kommt zum Lindenhof. Da kann man ohne Gegengebühr sitzen und schauen. Nachdenken und über Fragen grübeln empfiehlt sich auch. Etwa warum man Backpacking in der Schweiz versucht. Aus dem Regen in Bern weiter in das nicht weniger triste Zürich. In vollem Bewusstsein habe ich mir vorher wasserfeste Schuhe zugelegt. Ich war bewaffnet, wenn auch nicht mental.
Jeder Rucksackreisende hat das Recht auf einen Luxusartikel, der rational denkend nur Übergepäck bedeutet. In meinem Fall ist das die ausgediente Fotokamera meines Vaters. Kaum mehr bedienbar, aber immer noch bessere Ergebnisse liefernd als mein Handy. Mehr gelingt der perfekte Schuss. Eine verwöhnte Taube, auf einem Pfahl sitzend, dahinter die Stadt. Dafür lohnt sich das Übergewicht am Rucksack. Ich verweile noch ein paar Minuten, dann erkenne ich, dass ich auch hier alles getan habe, was es zu erledigen gibt. Ich packe meinen Rucksack und hieve in auf meinen Körper. Ich will weiter.
Ich gehe die engen Stufen runter und lande in den Einkaufsstraßen der Stadt. Sie alle hier denken schon lange nicht mehr an den Lindenhof, an Bäume oder an Tauben. Hier denkt man an den Konsum, den Verbrauch, das Geld.
Ob das vielleicht die Vögel und die Tauben das gesehen haben? Vielleicht sind sie deswegen selber so arrogant geworden, wählerisch und mutierten zu Luxus-Ausgaben dieser Stadttiere.
© Ernad Bradaric 2021-08-05