by Rick Lupert
Als ich jung war, plagte mich einen gewissen Zeitraum lang, der rückblickend nicht sehr lang gewesen sein kann, mir damals aber wie eine Ewigkeit vorkam, tiefe Schlaflosigkeit. Ich muss um die 17 Jahre alt gewesen sein und irgendetwas muss mich belastet, beschäftigt, gestresst haben, wie das in diesem Alter schonmal vorkommt, sodass ich abends, wissend, schlafen zu müssen, wie in gleißendem Licht wach im Bett lag und an die Decke starrte. Ich blieb wach bis zum Morgen. Erst in der Schule überfiel mich die Erschöpfung und ich musste mich zusammennehmen, um nicht einzunicken. Kaum war ich zu Hause, schien mir das Einschlafen wieder unmöglich. Das ging einige Nächte so, bis ich eines Abends beschloss, aufzustehen. Was brachte es schon, wach im Bett zu liegen, wo man in der Zeit doch auch anderes machen konnte, vielleicht sogar etwas, das müde machte? Ich versuchte es mit Sport im Zimmer, mit Büchern, schließlich lernte ich sogar, um das durchs Einnicken in der Schule Verpasste nachzuholen. Irgendwann verließ ich das Zimmer, um mir Essen zu holen; in der nächsten Nacht das Haus, um spazieren zu gehen.
In der Nacht durch die Stadt zu gehen war spannender und aufregender als alles, was ich davor gemacht hatte. Natürlich hielt es mich wach, machte also auch nicht das, was es sollte, doch bereute ich es nie. Als ich irgendwann von allein wieder schlafen konnte, bereute ich eher, nun nicht mehr zu diesen Spaziergängen gezwungen zu sein, denn was ich in der Nacht erlebte, traute sich bei Sonnenlicht nie raus; zumindest kam es mir so vor. Anders kann ich mir auch heute nicht erklären, warum die Nacht immer spannender ist als der Tag. Mir kommt jetzt vor, ich bin nur so, wie ich bin, aufgrund der Nächte dieser lang vergangenen Zeit; in diesen Nächten lernte ich mehr, als meine Lehrer mir hätten beibringen können.
Das fing damit an, dass mir erstmal gar nichts auffiel, ich einfach nur ging und mich meinen Gedanken hingab, die sich allein schon dadurch von den Gedanken unterschieden, die ich um dieselbe Zeit in meinem Bett liegend gehabt hätte, als dass ich in keine Schleifen rutschte, weil mit jedem Schritt neue Eindrücke auf mich einströmten, die sich gravierend von dem Bild meiner Schlafzimmerdecke, das sich fest auf meiner Netzhaut eingebrannt hatte, abhoben. Aber das reichte schon, um nicht durchzudrehen, wovor ich große Angst hatte, wenn ich kreisend im Bett lag.
Und dann, als mir diese Eindrücke im Licht des Mondes hellblau und blass erleuchtet endlich ganz bewusst wurden, sie also nicht mehr nur dazu beitrugen, Schleifen in meinem Kopf zu durchbrechen, sondern ganz neue Wirbel eröffneten, lernte ich die Nacht mit ihren Schattengestalten und fabelhaften Wesen kennen, die aus dem Meer stiegen, wenn die Sonne unterging und die Menschen sich schlafen legten – und wenn die Sonne morgens aus dem Meer stieg, wieder dorthin zurückkehrten; oder einfach vom Erdboden verschluckt wurden, der auf der Insel schon immer Monster zur Welt brachte.
© Rick Lupert 2021-08-04