Der Wald ist mein zweites Zuhause. Schon wegen der Hunde war ich oft in unserem Wäldchen unterwegs. Dort gibt es keine Wildtiere, abgesehen von Eichhörnchen, Füchsen und Dachsen. Die bekommt man aber selten zu Gesicht. So gesehen musste ich auf den jeweiligen Hund nicht groß aufpassen. Ich konnte mich frei bewegen und einem meiner Hobbys frönen: dem Fotografieren und dem Filmen.
Offenbar konnte nicht jeder Mensch der mir begegnete verstehen, wieso ich Pflanzen, Bäume und Ameisen mit meiner Kamera einfing. Ein Mann fragte mich gar: „Warum kaufen Sie sich nicht ein Buch, in dem es schöne Fotos gibt?“ So ein Ignorant! Tausende schöne Fotos und Videos entstanden im Laufe der Jahre. Die meisten davon gingen leider wieder verloren, weil ich wieder einmal einen Virus hatte, der alles löschte. Egal! Sie hatten existiert, ich hatte mich daran erfreut. In diesem Leben ist eben alles vergänglich.
Mir war nicht so wichtig, was ich fotografierte, weil die Natur einfach schön ist. Ergab sich etwas, fotografierte ich, wenn nicht, dann ließ ich es eben bleiben. Aber ein Foto wollte ich unbedingt machen. Mindestens 10 Minuten rannte ich auf einem Waldweg hin und her, auf der Jagd nach zwei wunderbaren Schmetterlingen. Sie waren so groß, wie kleine Vögel. Aufgeregt flatterten sie hin und her. Trafen einander, um gleich darauf wieder jeder für sich die Umgebung zu erkunden. Hin und wieder flogen sie über die Brombeersträucher am Wegrand. Wohin ich ihnen nicht folgen konnte. Doch kurz darauf kamen sie zurück, um genau über dem Weg auf dem ich mich bewegte, einmal vor mir und dann wieder hinter mich zu flattern. Unter ihnen spazierte mein Hund herum, ohne sie zu beachten.
Beobachteten sie ihn, oder gar mich? Zeitweise gewann ich diesen Eindruck. Das konnte doch nicht sein. Ein Schmetterling, der bewusst registriert, was sich unter ihm abspielt? Schmetterlinge sind doch dumm. Zumindest glauben wir Menschen es. Sie erscheinen uns wertlos. Kaum jemand findet etwas dabei sie zu töten, um sie dann als Trophäe zu präsentieren. Trophäenjagd für Feiglinge.
Sie ließen mich nicht an sich heran. Es war zum Verzweifeln. Doch da mein Jagdinstinkt nun einmal geweckt war, gab ich nicht nach. Sonderbar! Die beiden blieben zwar auf Distanz zu mir, aber doch auch in unmittelbarer Nähe. Als wollten sie mit mir spielen. Oder hielten sie mich sogar zum Narren? Sobald ich mich ihnen näherte, wenn sie auf einer Blüte, oder auf einem Blatt innehielten, stiegen sie auf. Doch dann passierte das Unvermutete. Eine der beiden Schönheiten glitt direkt auf mich zu – und landete auf meinem Finger. Ich erstarrte. Das Tier schien mir direkt in die Augen zu blicken und ich erwiderte seinen Blick. Endlich! Es war so nah, wie es nur sein konnte. Verdammt! In der Hand, auf der es gelandet war, hielt ich den Fotoapparat. Wie sollte ich jetzt ein schönes Foto machen? Vorsichtig hob ich die linke Hand hoch, um den Apparat aus meiner Umklammerung zu befreien. Doch kaum löste ich die rechte Hand, flog der Schmetterling weg. Alle Mühe war umsonst und doch hatte diese Begegnung mit dem neugierigen Schmetterling, tiefen Eindruck hinterlassen. Mehr als ein schönes Foto es zuwege gebracht hätte.
© Susanne Sayici 2024-02-16