Die Nebelschwaden zogen träge an seinem Fenster vorbei. Weißlich, etwas transparent, doch nicht ganz durchscheinend. Fasziniert beobachtete er sie und die Erinnerung an den Schleiertanz dieser wundervollen Pariserin wurde in ihm wach.
Vor Jahren besuchte er eine kleine Bar in der Nähe von Montmartre in Paris. Der Höhepunkt dort war eben der Schleiertanz. Sieben Schleier verdeckten den nackten Körper der Tänzerin. Einer hing über ihrem Gesicht, einer bedeckte die Brüste, vier Schleier waren locker an der Taille befestigt und der siebente schien darunter verborgen zu sein, um ihre Scham zu beschützen. Auf der Bühne wurde sie von einem Trommelspieler begleitet. Die Trommel spielte wild, dann wieder einschmeichelnd und das Publikum hielt den Atem an. Der Tanz dauerte lediglich 14 Minuten, für jeden Schleier zwei Minuten. Der Gesichtsschleier fiel, danach die Taillenschleier. Die Trommel verstummte beinahe, ganz sanft und leise ging es dem Höhepunkt zu. Ein kurzer Ruck und die Brüste boten ihre nackte Schönheit dar. Trommelwirbel, angespannte Erregung, der letzte Schleier schwebte zu Boden. Ein zarter Flaum rötlicher Schamhaare wurde sichtbar. Die Trommel hörte auf und die Tänzerin verbeugte sich und tosender Applaus brach los. Diese 14 Minuten waren ein erotisches Erlebnis sondergleichen. Prickelnd, aufwühlend, atemlos.
Er öffnete das Fenster und griff in die Dunkelheit hinaus, nichts als Feuchtigkeit und Kälte umfing ihn. Schnell schloss er das Fenster wieder, ihn fröstelte. Der November stand in voller Blüte. Dichter Nebel und Nieselregen wechselten sich ab mit Sturm und Morgenfrost. Ab und zu kam nur mehr die Sonne hervor, doch er liebte das Wetter. Bisweilen, wenn der Nebel aufstieg, brach ein Spätherbsttag hervor in seiner ganzen Buntheit und der letzten Blütenpracht. Es zeigten sich sogar vereinzelt Schneeflocken und auf den Friedhöfen sah man ein Lichtermeer.
Spaziergänge am späten Nachmittag erfreuten sein Herz. Gut und warm eingepackt war das kein Problem und nach dem Nachhausekommen kochte er sich einen Glühwein und genoss diesen neben dem heißen Kamin. Einige Duftkerzen flackerten lustig und aromatisierten den Raum mit kuscheligen Düften. Ein Stück saftigen Kürbiskuchen dazu und seine Welt war in Ordnung.
Doch heute plagte ihn ein wenig die Einsamkeit und er sehnte sich nach der Berührung einer zärtlichen Frauenhand, die sich wie ein leichter Schleier um seinen Körper legt.
Foto: Pinterest/ Maria Nagy
© Gabriele Leeb 2025-08-26