Der Schwarze Afghane in der Sezession

Hannes Stuber

by Hannes Stuber

Story

[1981] Im Theatersaal der psychiatrischen Anstalt am Steinhof hatten wir die tonnenschwere Bühne für André Hellers neue Varieté-Show zusammengebaut und danach zerlegt. Sie wurde in die Sezession am Karlsplatz transportiert und dort wieder aufgebaut. Heller arbeitete an seiner Trilogie der Wunder, weilte aber in New York.

Erst eine Woche vor der Generalprobe kam er eingeflogen und nahm die Artisten und Gaukler unter die Lupe. Die seltsamsten Leute hatte er aufgetrieben. Es gab einen indischen Spinnenmann, der seinen Körper so zusammenlegen konnte, dass er in eine gläserne Kiste mit einem halben Meter Durchmesser passte. Heller hatte Clowns, Liliputaner, Tänzer, Jongleure, Artisten und allerlei Freaks engagiert.

Wenn das leitende Team der Show irgendwo oder irgendwie feststeckte, was häug vorkam, zog es sich ins Büro der Sezession zurück. Auf dem rund fünf Meter langen Tisch lag die ganze Zeit für jeden sichtbar ein faustgroßes Stück schwarzen Haschisch, ein Schwarzer Afghan. Heller, sein Finanzchef, der Bühnenbildner und noch zwei, drei Personen zogen sich ab und zu in das Büro zurück und sperrten ab. Sie rauchten von der Droge, berauschten sich und warteten auf die Eingebung, die künstlerische Inspiration. Wir standen draußen und warteten auf die Entscheidung. Man hörte es drinnen husten. “Die wahren Abenteuer sind im …” begann Hansi, der ansonsten wortkarge Gitarrist der Begleitband. – “Im Kopf”, ergänzte Robert, der Pianist. – “Im eingerauchten Kopf”, stellte Hansi fest und grinste. Wir lachten.

Eines Tages wurde die gesamte Belegschaft, rund zwanzig Personen, ins Büro beordert. Großes Drama: Der Schwarze Afghan war verschwunden. Heller fragte, wer ihn genommen hätte oder ob jemand etwas wüsste. Betretenes Schweigen.

In die unheilvolle Stille hinein sagte ich, als es mir langweilig wurde: “Selbst schuld, wenn man das Haschisch so offen herumliegen lässt.” Heller starrte mich an. Ich wusste nicht, ob ich mich schuldig fühlen sollte, etwas gesagt zu haben, das sich vermutlich jeder dachte. Der faustgroße Brocken Haschisch war einiges wert. Ich verstand nicht, warum man ihn nie wegräumte. Heller begann einen Monolog über Teamgeist, Vertrauen und die darauf aufbauende Magie, den Zauber der Show. Das war wie ein Stichwort für mich.

“Ich dachte, der Zauberer ist tot”, warf ich schelmisch grinsend ein. Seine Augen bohrten sich in meine. “Aber das bedeutet doch, dass er lebt!” rief er aus und riss theatralisch die Arme nach oben. “Tot sein heißt, er lebt. Er wechselt nur die Gestalt.”

Nun war ich perplex und verstummte. Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. Den Text kannte ich nicht gut, nur Teile, was ich vor langer Zeit im Radio gehört hatte. Wir verließen das Büro. Es wurde nie geklärt, wer den Schwarzen Afghanen gestohlen hatte. Gefühlsmäßig verdächtigte ich einen mittellosen Typen, der seit kurzem im Team war. Und Heller hatte ein skeptisches Auge auf mich geworfen. Vermutlich war ich ihm nicht geheuer.

© Hannes Stuber 2020-11-19