by Sonja Dansu
Simon wurde von allen stets “Der Strahlemann” genannt. Wenn er sich Brötchen beim Bäcker holte, dachte sich dieser: “Er ist wohl ein richtiger Morgenmensch. So gut gelaunt ist er, wann immer er in meine Bäckerei kommt.” Wenn sein Nachbar sich wiedermal sein Haus besah, dachte er: “Er hat ein so kleines Haus und das mit zwei Kindern! Trotzdem lächelt er jeden Tag? Er muss verrückt sein!” Wann immer er in die Arbeit kam, lächelte er seinem Chef zu. Und dieser dachte: “Er arbeitet so hart und lächelt trotzdem jeden Tag. Was stimmt nicht mit ihm?” So ging das immer wieder. Wann immer er Menschen begegnete, schenkte er ihnen ein Lächeln. Vollkommen gleich, ob es ein Fremder war, ein Bekannter, oder seine kleine Tochter Mathilda, die ihm jeden Abend entgegengelaufen kam, um ihn zu umarmen. Dicht gefolgt von seinem 14-jährigen Sohn Max. Max beobachtete die Menschen auf den Straßen. Die meisten von ihnen waren stets mies gelaunt. Kaum einer hatte ein Lächeln oder ein nettes Wort für jemanden übrig. Deshalb begann er, sich zu fragen, warum sein Vater so anders war.
“Dad”, sagte er eines Abends deshalb, nachdem seine kleine Schwester längst ins Bett gegangen war. “Kann ich mit dir reden?” Simon drehte sich zu ihm um. Und wie zu erwarten war, lächelte er. “Natürlich, mein Sohn. Komm, trink mit mir eine Tasse Tee.” Mit diesen Worten legte er Max eine Hand auf die Schulter und gemeinsam marschierten sie ins Wohnzimmer. Als wenig später die zwei Tassen auf den Tisch gestellt waren, und sie sich niedergelassen hatten, begann Max nervös: “Ich wollte dich etwas fragen.” Sein Vater schenkte ihm einen aufmunternden Blick. Das machte es etwas leichter. Obwohl Max spürte, dass es ihn einiges an Überwindung kostete, diese Frage zu stellen. “Warum lächelst du immer?” Sein Vater sah ihn zunächst fragend an und das machte Max seltsamerweise irgendwie… wütend. Er richtete sich auf und biss die Zähne zusammen, bevor er fortfahren konnte. “Alle anderen tun es doch auch nicht! Meine Klassenkameraden… wenn sie dich sehen, fragen sie mich immer, ob du-” Er hielt inne. Versuchte sich etwas zu beherrschen und beendete dann seinen Satz mit etwas leiserer Stimme: “verrückt bist.” Max wandte den Blick ab. Es war ihm peinlich. So unglaublich peinlich, dieses Gespräch zu führen. Doch das Bedürfnis, die Antwort auf seine Frage zu bekommen war so unfassbar groß. Es wurde still. Simon wartete, bis sein Sohn ihn ansah. Erst dann sprach er mit leiser und sehr sanfter Stimme: “Weißt du, manchmal ist es wichtig, nicht so wie die anderen zu sein.” Erneut kroch etwas Wut in Max’ Körper und er wäre beinahe aufgestanden, als er energisch erwiderte: “Aber das macht uns zu Außenseitern!” Es bebte in seinem Inneren. Und sein Atem ging viel zu schnell. “Sehr viele Menschen sind unglücklich, mein Sohn. Das musst du wissen”, meinte Simon dann sanft. Verständnislos blickte Max ihn an. “Deshalb ist es wichtig, ihnen ein Lächeln zu schenken, wenn sie ihr eigenes verloren haben.” Max schloss den Mund. Eine ganze Weile sah er seinen Vater an. Still. Und heimlich breitete sich Traurigkeit in ihm aus. Traurigkeit darüber, dass er seinen Vater verurteilt hatte. Weil die Welt war, wie sie war. Doch als er den Kopf hob war da keine Wut, kein Anzeichen von Ärger zu sehen. Nur… ein Lächeln. Max fühlte sich besser. Und da begann er zu verstehen.
© Sonja Dansu 2024-09-07