Jetzt ist sie gestorben, nein, sie ist einfach eingeschlafen. Seit Jahren war sie sehr schwer krank, sie hat es nicht mehr geschafft, wirklich alleine zu leben die letzten Wochen. Ihre lebensverlängernden Geräte wurden schweren Herzens abgestellt. Eine sehr schwere Entscheidung. Was würden wir tun, wenn wir vor so einer Entscheidung stehen würden? Der geliebte Mensch liegt da, all die Erinnerungen sind so präsent, dass es weh tut. In diesem Moment ist es wichtig, daran zu denken, was dem Sterbenden wichtig ist. Was würde sie jetzt sagen? Was möchte sie? Wir Lebenden können es nur erspüren, aus all den Erinnerungen an den Sterbenden zusammensetzen, was wirklich wichtig ist. Ich sehe sie vor mir. Vor mehr als 20 Jahren ist sie mir begegnet. Sie war auf einmal da, in einer sehr schweren, bedrückenden Zeit für mich. Wir haben sehr, sehr viele Jahre zusammen verbracht. Sie war wie eine Mutter für mich in dieser Zeit. Wir haben zusammen gelacht, geweint, gefeiert, alles besprochen. Sie war immer für mich da, immer, bedingungslos. Sie hat mich nie gefragt, warum machst du das? Sie hat mich akzeptiert ohne Wenn und Aber. Eine tiefe Freundschaft. Jeden Morgen haben wir telefoniert, sie erzählte mir, was sie beschäftigt, was sie möchte, wo sie gestern noch gewesen ist, was sie im Fernsehen, so nannte man damals das gängige Medium angesehen hat. Sie war die mutigste Frau, die ich gekannt habe.
Alle Menschen, denen wir in der gemeinsamen Zeit begegnet sind, dachten sie sei meine Mutter. Sie hatte die gleiche Ausstrahlung und fast dasselbe Gesicht wie ich, nur viele Jahre älter als ich. Sie war eine wunderschöne Frau in den 50er Jahren, in der ganzen Stadt beliebt und begehrt. Nichts konnte sie aufhalten und niemals hat sie aufgegeben. Ich habe sie von ganzem Herzen geliebt. Jetzt ist sie tot, über die Regenbogenbrücke vorausgegangen. Jetzt sagt sie nie mehr ein Wort, aber auf Herzensebene sind wir für immer verbunden. Sie leuchtet, wenn ich sie ansehe und freut sich, es geschafft zu haben. Sie ist erlöst, auch wenn sich das komisch anhört. Erlöst von ihrem Leiden. Sie hat das Leben über alles geliebt, sie hat wirklich gelebt, mit solch einer Intensität, dass sie niemals etwas vermisst hat. Mein Ziel ist es immer, an dem Tag, an dem ich einmal sterben werde sagen zu können: Ich habe alles erledigt, habe meine Lebensaufgabe erfüllt, bin im Reinen mit mir und den Gegebenheiten des Lebens. Morgen ist mein Geburtstag, so nahe liegt Tod und Geburt beieinander. Ich bedanke mich bei meiner besten Freundin heute an Valentinstag für alles, was sie mich gelehrt hat, für ihr Vertrauen, für ihre Liebe. Ich verneige mich vor ihr vor ihrem Lebensweg. Hab eine gute Reise und ruhe in Frieden, du liebe, beste Freundin. Danke.
© Catrin Kutter 2025-02-14