Der Tod spricht immer!

Christine BĂŒttner

by Christine BĂŒttner

Story

Ich denke an den Satz: Der Tod spricht immer, und wenn es nur ein FlĂŒstern ist, und dabei kommen mir die Salzburger Festspiele im Jahr 2005 in den Sinn, sehe Ulrike Folkerts als Tod in der „JedermannauffĂŒhrung“ auf dem stimmungsvollen Domplatz vor mir. Ja, dieses Salzburgereignis fĂŒhrt uns Menschen das Sterben des reichen Mannes und seine Schandtaten vor Augen. Folkerts morbides Erscheinungsbild tut ein Übriges, sich mit dem Leben und dem Tod auseinander zu setzen. Die zierliche Person erscheint mit einem Ganzkörper-Make-up aus grauer Farbe, Natriumcarbonat und Steinmehl, ihr Kopf ist kahl und ihren Körper ziert ein filigraner Reifrock, somit rĂŒckt sie das geschlechtslose Wesen Tod in die NĂ€he des Weiblichen. Sowohl im Französischen als auch im Italienischen sind „la mort“ oder „la morte“ immer schon weiblich, nur im Deutschen lĂ€sst der Artikel eine mĂ€nnliche Zuordnung zu.

Ich sitze aufgeregt mit meinem Mann auf dem Domplatz und genieße den „Jedermann“, Hoffmannsthals unverwĂŒstliches Mysterienspiel in der Bearbeitung von Martin Kusej. Peter Simonischek verkörpert den Protagonisten weltmĂ€nnisch und unersĂ€ttlich, wir genießen Tobias Moretti als jovialen Paradeteufel sowie Karl Merkatz als ehrwĂŒrdigen barfĂŒĂŸigen Gott und Nina Hoss als Buhlschaft, die mit ihrem feuerroten Abendkleid das pralle Leben verkörpert und ihren Geliebten in keinem Fall in den Tod begleiten will.

Ich genieße diese wunderbare „Endzeitstimmung“ am Domplatz und stelle mir die Frage: Wie werde ich sterben? Ich sehe lĂ€chelnd dem Treiben auf der BĂŒhne zu und komme zum Schluss, dass der Tod immer und ĂŒberall allgegenwĂ€rtig ist. Bereits bei der Geburt steht das Todesdatum des kleinen Winzlings fest; wird er oder sie jung sterben oder gelingt ihm/ihr ein Reifeprozess bis ins hohe Alter? Spielt eine Krankheit eine große Rolle oder aber fĂ€llt der alte Mensch unerwartet von der Bank des Lebens? Vegetiert er oder sie in einer Pflegeanstalt vor sich hin, bis endlich der Körper den letzten Atemzug haucht? Versuchen Ärzte im Krankenhaus mit allen Finessen der medizinischen Kunst den Körper am Leben zu erhalten, um dem hippokratischen Eid Folge zu leisten?

Hoffmannsthal hat uns mit seiner „WeltbĂŒhne“ einen Einblick in die letzten Stunden von Jedermann aufgetan und doch ist die Einsicht im Tode gegeben. Wenn Gevatter Tod auf die Erde kommt und sagt: „Ich bin gekommen, um dich abzuholen!“und wenn er den Arm um Jedermanns Brust legt, dann erkennt man einen Strahl der Hoffnung, der ins Licht fĂŒhrt und alle Ängste werden in diesem unwiederbringlichen Augenblick vollkommen unwichtig, denn ihm, dem SĂŒnder, wird in letzter Sekunde vergeben. Ich lehne mich zurĂŒck und das Ambiente vor dem Salzburger Dom nimmt mich gefangen. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler sind nicht mehr auf der BĂŒhne, und dann fallen mir folgende Worte von R. Nissen ein: „Der Tod ist der Horizont des Lebens, aber der Horizont ist nichts anderes als das Ende unserer Sicht!“

© Christine BĂŒttner 2021-04-08