Der Umweg meines Lebens (3) #ysa23

Stefan Schotten

by Stefan Schotten

Story
Nordrhein-Westfalen 2023

So versuchte ich mich daran zu erinnern, was meine Freunde Max und Martin mir damals erzählt haben, wie sie ihre aktuelle Partnerin angesprochen haben. Max hat es damals mit einem direkten “Hi, ich bin Max und du bist mir gerade aufgefallen.” geschafft, während Martin den indirekten Weg nahm und sich nach der Uhrzeit erkundigte. “Sollte ich es also eher wie Max versuchen oder eher wie Martin?” kursierte ständig in meinem Kopf herum, dessen Gedankengang durch eine erneute Ansage unterbrochen wurde. So hieß es in der Durchsage, dass nun ein anderer Zug in Richtung Düsseldorf Hbf an Gleis 3 ankommen würde. Panik machte sich in mir breit. “Was ist, wenn sie diesen Zug nimmt und ich sie danach nie wieder sehe?”. Ich hatte also nur noch wenige Augenblicke Zeit mir zu überlegen, was ich sagen könnte, doch ich fand einfach keine passende Wörter.

Im äußersten Blickfeld sah ich nur, wie sie gerade am Smartphone hantierte und ihren Rucksack vom Boden aufhob, der mir bislang noch gar nicht aufgefallen war. “Mist Stefan, mach schnell. Sie hat sich schon ihren Rucksack genommen und steigt mit großer Wahrscheinlichkeit in den Zug Richtung Düsseldorf ein – tu was!”. Doch ich tat nichts, außer sie zu beobachten und zu hoffen, dass ich nicht wie ein Verrückter rüberkommen würde, falls sie mich denn überhaupt wahrgenommen hat. Anhand des Windstoßes und des Geräusches der Bremse merkte ich plötzlich, dass die Zeit gekommen war und der Zug am Gleis anhielt. Und tatsächlich begab sich die wunderschöne Frau zu einer der unzähligen Zugtüren und wartete bis alle Passagiere ausgestiegen sind, um dann selbst hineinzusteigen. In dem Moment, wo sie verschwunden war und ich sie nicht mehr sehen konnte, traf es mich fast wortwörtlich wie ein Blitz und ich stieg ebenfalls in die genau vor mir offene Zugtür ein und begab mich in das Abteil, wo sie eingestiegen ist. Dabei vergaß ich mit meiner Wohnung in der entgegengesetzten Richtung komplett mein eigentliches Ziel, doch irgendwie konnte ich nicht anders und nahm in der hinteren Reihe von ihr Platz.

Als ich vor der Abfahrt nochmal kurz aus dem Fenster sah, konnte ich ein paar bekannte Gesichter sehen, die mich anschauten und mir das Gefühl gaben, dass sie mein Vorgehen durchschaut haben. Als ob es so offensichtlich gewesen wäre, dass ich nicht wie gewohnt mit ihnen in Richtung Aachen fahre, sondern wegen einer gewissen Person in einen anderen Zug eingestiegen bin. Es waren fast schon vorwurfsvolle Blicke, die mich in einem gewissen Maße überraschten, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass sie sowas abseits ihrer Fixierung aufs eigene Smartphone mitbekommen würden. Doch bevor ich mir Gedanken darüber machen konnte, hatte der Zug den Bahnhof bereits verlassen und mein Fokus lag wieder auf ihr. “Wie soll ich es anstellen, dass sie mich wahrnimmt und was soll ich sagen?”. Was ist, wenn sie schon einen Freund hat? Natürlich hat sie schon einen Freund, schau sie dir doch an!”. All diese Gedanken kreisten sich in den nächsten Minuten in meinem Kopf herum, während sie in Ruhe anfing ein Buch zu lesen. Dank der Spiegelung im Fenster konnte ich erkennen, dass es sich bei dem Buch um “Eine wie Alaska” des Schriftstellers John Green handelte.

© Stefan Schotten 2023-08-09

Genres
Novels & Stories