by Eva Filice
Wie blickt der Wiener? Blickt er anders als die Wienerin?
Die Eigenschaften der Wiener Bevölkerung werden sehr unterschiedlich wahrgenommen. Jedes Klischees trägt einen Funken Wahrheit in sich. Was ist ein typisch wienerisches Verhalten? Laut Umfragen sind die Wiener unfreundlich, grantig, gemütlich, freundlich – manche Eigenschaften widersprechen einander. Der Wiener Schmäh wird dem Image der Wiener zugeordnet, selten werden die Eigenschaften gendermäßig berücksichtigt. Treffen diese “typischen” Klischees nicht auf Frauen in Wien zu?
Der Wienerblick ist sehr beliebt. Er ist atemberaubend, lässt staunen, öffnet den Blick in die Weite. Der Blick von oben herab ist nicht überheblich. Er zaubert ein Lächeln ins Gesicht, das Freude auslöst. Er bewirkt ein Glücksgefühl, das ansteckend ist.
Der frühlingshafte Samstag verlockte die Wiener und Wienerinnen und viele Wanderfreudige ins Freie. Auch wir begaben uns nicht weit von unserem Zuhause zu einer kleinen Wanderung in den Wald. Der Weg führte uns zuerst langsam und zum Schluss etwas steiler bergauf. Und dann erblickten wir ihn – den Wienerblick. Der Blick über Wien legte uns die Stadt zu Füßen. Das schöne Wetter ließ uns in der Ferne sogar den Braunsberg und den Schlossberg bei Hainburg sowie den Hundsheimer Berg erkennen. Doch dieser Überblick über Wien ist für mich der schönste Wiener Aussichtspunkt. Wiener und Wienerinnen blickten entzückt auf ihre Stadt, sie kamen mit den Gästen ins Gespräch und zeigten ihnen die erkennbaren Sehenswürdigkeiten der Stadt an der Donau. Der Blick vom Westen Wiens erstreckt sich über die Steinhofgründe mit der Otto-Wagner-Kirche weiter zum Kahlenberg und Leopoldsberg im Norden. Im Osten erkenne ich die Hochhäuser des modernen Stadtteils an der Donau. Unverkennbar die zwei dunklen Blöcke des AKH sowie die Hochhäuser am Wienerberg und das Kraftwerk Simmering.
Eine Besonderheit fiel mir diesmal auf. Viele junge Menschen unterhielten sich in verschiedenen Sprachen. Sie tummelten sich am Wienerblick, ohne der Blick länger auf die Stadt zu werfen. Selfies in unterschiedlichen Positionen mit körperlichen Verrenkungen wurden getätigt, und bald danach verließen die Selfie-Gruppen den Hügel. Fotos mit dem Wienerblick als Kulisse für Selbstdarsteller:innen, in wenigen Minuten festgehalten. Angeregt durch Influencer:innen? Einen erfreulichen Anblick boten die Menschen, die sich mit Picknickdecken auf der Wiese niedergelassen hatten. Kinder liefen den Hügel hinab und schnauften beim Raufgehen. Der Frühling beginnt bei uns oft mit dem Wienerblick. Jede Jahreszeit ermöglicht das Bewundern des Kreislaufes der Natur. Auf dem Weg zum Wienerblick roch der Bärlauch, leuchten die Veilchen und die Blausterne. Das zarte Grün der Bäume hob sich vom blauen Himmel deutlich ab. Frühling in Wien.
Der Wienerblick befindet sich im Lainzer Tiergarten im Westen von Wien. Einst als Jagdgebiet des Kaiserhauses genützt, dient der mit einer 24 km langen Mauer eingezäunte Lainzer Tiergarten seit 1919 als Erholungsgebiet für die Wiener:innen.
© Eva Filice 2025-04-13