by HollyGoesTo@
Ich liebe das Meer wie die Berge. Müsste ich mich entscheiden, es würden wohl die Berge werden, doch dieses Jahr entspricht das Meer besonders meiner Gefühlswelt. Nie vorher empfand ich diese besondere Melancholie der ans Ufer rollenden Wellen wie in diesem Jahr. Nie vorher habe ich darüber nachgedacht, dass jede Welle sowohl etwas bringt als auch mitnimmt.
Wenn ich ganz früh morgens barfuß am Strand entlanglaufe, immer ganz knapp am Meersaum und manchmal, wenn plötzlich eine stärkere Welle kommt, doch mit den Füßen im Wasser, hinterlasse ich eine Spur. Man kann genau sehen, wo die Ferse auftritt und alle abrollenden Fußzehen und wenn ich hinter mich schaue, sehe ich meinen leicht mäandernden, zurückgelegten Weg. Jeden Morgen gehe ich so mit meinen Hunden etwa dreißig bis vierzig Minuten Richtung Süden und dann wieder zurück. Dabei sammle ich allerlei Schönes und Unnützes, was mir eben so begegnet, und denke über das Leben im Allgemeinen und über mein Leben im Besonderen nach.
Darüber, welche Vorstellungen ich von meinem Leben hatte, welche Erwartungen, wo ich heute stehe und welche Träume noch auf Verwirklichung hoffen. Und natürlich über die Liebe. Wie die Gesellschaft Liebe interpretiert, was sie für mich bedeutet, ob es sie überhaupt gibt. Wirklich gibt, also nicht nur verklärte Ideale, sondern ob man sie tatsächlich leben kann. Warum ist Liebe nicht gleichmäßig verteilt, warum liebt immer einer mehr als der andere? Und warum muss lieben einen so blockieren und beschäftigen?
Und ich denke an Dich: Morgens, wenn ich aufstehe, denke über Dich nach, wenn ich meine morgendliche Runde am Strand entlanglaufe, träume von Dir, während ich meinen ersten Kaffee trinke, suche nach Zeichen von Dir während des Tages, verzweifle über Dich abends und sehne mich nach Dir nachts. Tag für Tag, Nacht für Nacht.
Und ab und zu, keineswegs soviel, dass es auch dem Genügsamste reichen könnte, aber auch nicht so wenig, als dass ich Dich vergessen könnte, wirfst Du mir kleine Brocken Deiner Aufmerksamkeit hin. Eine Nachricht, ein kurzes Treffen, wovon ich wieder tagelang, wochenlang zehre.
Wenn ich schließlich spät abends, unter dem hell scheinenden Mond, einsam meine letzte Runde am Strand drehe, bemerke ich zufrieden, dass alle Spuren des Tages von den Wellen mitgenommen wurden. Ja, selbst meine Fußspuren des Hinwegs sind auf dem Weg nach Hause schon ausgelöscht. Der Strand erneuert sich alle paar Wellenschläge und präsentiert sich immer wieder rein, wie ein weißes Blatt Papier. Der Wind nimmt meine Gedanken mit hinaus auf das offene Meer und ich weiß nun, jeder Tag ist der richtige, um etwas ganz neu anzufangen.
Danke Meer! Nun kann ich wieder zurück in die Berge.
© HollyGoesTo@ 2020-07-25