Die brennenden Kellerasseln

muratXkamil

by muratXkamil

Story

Meine Eltern sind in der TĂŒrkei im Urlaub, in ihrem Dorf in SĂŒdostanatolien. Hin und wieder gehe ich zu ihrem Haus am Rande von Hamburg und schaue nach dem Rechten. Heute z.B. bin ich da. Ich sammele eine Hand voll gereifte Bohnen. Ich zupfe dem Minzbeet die hochgewachsenen BlĂŒten, lila zerfallen sie in meiner weichen Hand, die nicht viel mehr weiß, als einen Stift oder ein StĂŒck Kreide zu halten, in eine Tastatur zu tippen, ein Glas Schnaps zu bergen.

Ich fege den Eingang frei von BlĂŒten und BlĂ€ttern. Es fĂ€ngt zu regnen an. Der protestantische Schweiß der tĂŒchtigen Norddeutschen schĂŒttet auf das GrundstĂŒck. Ich laufe mit dem Besen unters Kabuff. Ich wische den Regen von meiner Stirn mit einem alten Lappen vom Tisch. Auf dem Tisch liegt ein Korb mit Auberginen. “Ob mein Bruder wohl die Tage da war und ihn hier liegen gelassen hat?”

Ich schaue auf den kleinen Grill – da liegt noch alte Kohle, angegraut, aber nicht abgebrannt. “Hatte mein Bruder das Feuer gelöscht, nachdem er gegrillt hatte?” Dann hatte er wohl zu viel Kohle genutzt oder musste schnell los – zumindest hatte er die Glut vorzeitig gelöscht.

Ich nehme mir einen alten Pappkarton, zĂŒnde ihn an und lege ihn brennend in die Grillschale. Minuten spĂ€ter beginnt die alte Kohle bereits langsam zu glĂŒhen. Bald glĂŒht alles. Ich lege die Auberginen aufs Gitter.

Es hat zu regnen aufgehört. Ich gehe ins Haus, nehme mir einen Teller, eine Gabel und einen Salzstreuer. Ich nehme mir die Auberginen weg und beginne sie zu schÀlen. Die Glut vom Grill streue ich auf das nasse Pflaster vor dem Kabuff.

“Was ist das?” Es riecht nach verbranntem Fleisch. Ich schaue instinktiv in die Glut auf den Boden. Viele dutzende Kellerasseln rennen wild durch die Gegend. Ich habe ihren Lebensraum gebrandschatzt!

Ich habe ein heißes StĂŒck Aubergine im Mund und schaue den Kellerasseln zu. “Jetzt könnte es ruhig regnen”, denke ich mir. “Sollte ich nicht etwas tun?”

Makaber wie ich bin, fallen mir die aktuellen WaldbrĂ€nde in der TĂŒrkei, in Griechenland und in anderen LĂ€ndern ein. Was fĂŒr eine illegitime Assoziation! Ich kann aber nicht anders, als daran zu denken. “Ob Gott die vor dem Brand fliehenden Menschen auch so beobachtet wie ich die Asseln grade?”

Ich unterbreche mein Mahl, nehme eine Schaufel und bringe einen großen Teil der Glut zur Seite.

“Ist Gott böse? Ist die Welt böse? Bin ich böse?”

Es fĂ€ngt wieder an zu regnen. Das Leben ist eine sinnlose Heuchelei. Ich zĂŒnde mir eine Zigarette an.

© muratXkamil 2021-08-06

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