Die Definition von Dummheit

Julia Rößling

by Julia Rößling

Story
2022

Es ist ein warmer Frühlingstag Anfang Mai und die kräftigen Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die fast geschlossenen Rollläden. Es wäre ein schöner Anblick, wenn er mal zum Fenster gesehen hätte. Doch er hat nur Augen für seinen Bildschirm, auf dem er gerade sein Spielmenü inspiziert. Er erblickt ein paar Nachrichten von seinen Freunden, mit denen er so oft die halbe Nacht gespielt hatte. Diese Menschen gehören zu den wenigen Leuten, die sich nicht von der Regierung kontrollieren lassen. Geschweige denn sich einen sogenannten Impfstoff voller winziger Tintenfische und Mikrochips spritzen lassen. Unter diesen Menschen fühlt er sich normal und nicht wie der Einzige, der merkt, was eigentlich in der Welt da draußen passiert. Dabei muss man dazu nicht einmal seine Wohnung verlassen, sondern lediglich auf den richtigen Seiten im Internet recherchieren. In seinen Augen gab es eben zu viele dumme Menschen, die nicht mehr selbst dachten. Er öffnet eine Nachricht und stellt schockierend fest, dass wohl auch seine Freunde aufgehört haben zu denken. Die Nachricht verkündet seinen Ausschluss aus der Gilde, nachdem sie wochenlang nichts mehr von ihm gehört haben. „Solche Idioten!“, denkt er. Noch eine Sache, über die er sich aufregen kann, davon gibt es reichlich. Natürlich hatte er versucht, sie zu kontaktieren, doch in dem Loch der Reha war dies nicht möglich gewesen. Dort hatte man keinen Empfang oder Internet. Fast vier Monate war er dort gewesen. Ende letzten Jahres verspürte er des Öfteren ein Taubheitsgefühl in seinem Arm. Der Arzt hatte ihn jedoch als Simulant nach Hause geschickt. Der hat doch eh keine Ahnung. Er selbst als ausgebildeter Pfleger wusste es natürlich viel besser.

Anfang dieses Jahres erlitt er dann einen Schlaganfall, da sich eine riesige Thrombose aus seiner Halsschlagader gelöst hatte und in sein Gehirn gewandert war. Er lag drei Tage in seiner kleinen dunklen Wohnung auf dem Boden, direkt neben dem gekippten Fenster. Erst nach den besagten drei Tagen kam sein Bruder auf Wunsch seiner Mutter, um nach ihm zu sehen. Sie selbst hatte nichts mehr von ihm gehört und sorgte sich um ihn. Als sie ihn auffanden, war er neben sich und hatte seine Umstände noch immer nicht realisiert. Der Krankenwagen kam und brachte ihn in das Krankenhaus.

Nachdem es ihm besser ging, verspürte er den Drang seiner Mutter die Meinung zu Geigen. Immerhin war sie diejenige gewesen, die ihn zu dieser Impfung gedrängt hatte. Und nun muss er darunter leiden. Sogar die Ärzte vertuschen die Machenschaften der Regierung und behaupten, der Schlaganfall sei von dem Rauchen. Aber zum Glück weiß er es selbst besser. Auch in der Reha versuchten sie, die Funktion seines linken Beins und Arms wiederherzustellen. Ständig musste er das Personal zurechtweisen und verlangte einen Arzt, um auf Augenhöhe zu sprechen. Nun war er endlich zurück in seiner Wohnung und zündete sich zur Beruhigung eine Zigarette an.

© Julia Rößling 2022-05-15