Es ist schon ein paar Wochen her, als ich mit meinem Lebensgefährten und unserer knapp einjährigen Tochter wieder einmal meine Familie besuchte. Weil sie von ihrem frischen Frühstücksbrei sehr wenig aß, füllte ich den Rest in ein ausgewaschenes Gläschen. Am Bahnhof kauften wir ein Kipferl. Das hatte es noch nie für unsere Tochter gegeben!
Kaum saßen wir im Railjet Richtung Westen, machte sie uns mit Schmatzgeräuschen darauf aufmerksam, dass sie Hunger hatte. Da kam der noch lauwarme Brei gerade recht. Uns fiel eine ältere Frau auf, so um die sechzig, die aus drei Sitzen Entfernung immer wieder zu uns herüber sah. Wir dachten uns nichts weiter dabei, da viele ältere Menschen mit einem Lächeln auf unseren Sonnenschein reagieren. Die spielte gerade fröhlich mit dem Deckel des Gläschens und warf ihn auf den Boden. Ich stand auf, ging in die Knie und fing dabei den Blick der Alten auf. Sie lehnte sich in den Gang hinein, um besser sehen zu können. Ich spähte unter den Tisch und entdeckte den Deckel – zu weit hinten, als dass ich nur hingreifen müsste. Also warf ich meine Haare über die Schulter auf den Rücken und quetschte mich unter den Tisch. Meine Haare sind hüftlang, müsst ihr wissen, und ich wollte mit ihnen nicht unbedingt den schmutzigen Boden des Zuges aufwischen.
Zurück “an der Oberfläche” packten wir das leere Gläschen weg und unsere Tochter bekam den ersten Bissen Kipferl. Sie grinste und verlangte nach mehr. Da kam auch schon die Durchsage, dass wir in wenigen Minuten in St. Pölten einfahren würden, also stand ich auf und begann, unsere Sachen zusammenzupacken.
Plötzlich quetschte sich oben erwähnte alte Frau bei mir vorbei, ging zwei Schritte weiter und blieb dann stehen. Sie drehte sich zu mir um und ich lächelte ihr zu, als zu reden begann: “Sie sind so eine dumme Mutter! Hauptsache Ihre Haare sind hübsch, aber dem Kind geben Sie nichts Richtiges zu essen!” Alle, die rund um uns saßen, blickten schockiert auf die Frau, als sie weitersprach: “Sie sind so dumm! Das Kind braucht etwas richtiges zum Essen!”
Ich dachte ich höre nicht richtig und sagte: “Sie wissen überhaupt nicht, was das Kind zu essen bekommen hat und wie es sonst noch ernährt wird!”
Da unterbrach sie mich wieder: “Sie sind so dumm! Hauptsache die Haare sind schön! Sie sind nicht reif, ein Kind großzuziehen!”
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung ihn ihre Richtung, packte unser Zeug weiter ein und murmelte: “Gehen Sie weiter.”
Sie ging. Vier Schritte, bevor sie sich wieder umdrehte: “Sie sind so eine dumme Mutter!”
Da reicht es mir: “Und Sie brauchen nur etwas, worüber Sie sich aufregen können.”
Ich war fertig mit zusammenpacken. Mit den Nerven auch. Mein Lebensgefährte drängte mich subtil in die andere Richtung, damit wir nicht den selben Ausstieg benutzen mussten. Zum Glück ist er weniger zart besaitet als ich, denn seine erste Aussage dazu war: “Zum Glück hat sie nur von ‘der Mutter’ gesprochen und nicht vom Vater – ich hab sie nämlich gefüttert.”
© Stefanie J. Koppensteiner 2022-04-01