by Iris Löcher
Nachdem mein Bruder gestorben war und schon einige schwere Schritte, die man unvermeidlich gehen muss, gegangen waren, kam der Schritt der Wohnungsübergabe auf mich zu. Seine Mietwohnung, in der er sich knapp zwei Jahre so wohlgefühlt hatte, war leer geräumt und konnte dem Vermieter übergeben werden.
Wir trafen uns in der Wohnung und der Vermieter war sichtlich betroffen, dass Stefan gestorben war. Er war nett und kam mir mit allem, was die Auflösung der Wohnung anging, sehr entgegen. Wir konnten alles gut und unkompliziert regeln und haben uns nett unterhalten.
Es kam aber, wie es kommen musste, und er erzählte, dass er sich ja im vorletzten Jahr von seiner Frau getrennt hatte, denn, so sagte er, sie sei immer so unfreundlich zu ihm gewesen. Ich versuchte, so desinteressiert wie möglich zu wirken, aber das hielt ihn nicht ab fortzufahren. Nach der Trennung von seiner Frau habe er dann eine dreimonatige Phase des heftigen Datings gehabt – wirklich heftig! – betonte er noch einmal. Dann wäre ihm auf einmal aufgefallen, dass er ja eigentlich verheiratet sei, und er hätte das Daten eingestellt.
Seine Frau sei mit der Zeit wieder auf ihn zugegangen und hätte sich auch bemüht, freundlicher zu sein. So wären sie wieder zusammengekommen, aber nach ein paar Monaten wäre alles wieder beim alten gewesen. So sei er jetzt wieder mit seiner Frau zusammen, aber nicht wirklich glücklich.
So gerne hätte ich meinem Bruder die Fortsetzung der Vermieter-Story erzählt, ich habe ganz genau vor Augen, wie sein Gesichtsausdruck gewesen wäre. Ungläubig, amüsiert, aber sicher auch etwas abgestoßen.
Ganz fertig war der Vermieter aber mit seiner Erzählung immer noch nicht.
Mir war nichts Geistreiches zu seinem Bericht eingefallen, und während ich noch nachdachte, fuhr er auch schon fort. Er erzählte mir (als ob ich das nicht schon gewusst hätte), dass er meinen Bruder ja im vorletzten Jahr gefragt habe, ob ich noch zu haben sei. Er hätte nämlich schon beim ersten Kennenlernen das Gefühl gehabt, ich sei so nett und friedlich.
Nun musste ich wirklich laut lachen. Ich habe ihm daraufhin gesagt – nämlich genau das, was mein Bruder zu ihm gesagt hätte – : “Der äußere Schein kann manchmal trügen!”
© Iris Löcher 2025-06-15