by Emma Mucha
Kilian führt mich durchs Dorf, bis wir an das untere Ende eines Weges gelangten. Vor uns baute sich eine Anhöhe auf. Oben auf der Hügelspitze erkannte ich die feinen Umrisse einer weißen Kirche. Der Weganfang, an dem wir standen, schlängelte sich in großen Serpentinen bis hinauf zur Bergspitze. “Da willst du jetzt mit mir hinauf?”, meine Stimme klang nicht gerade begeistert. “Ja, das ist der Plan. Aber wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir den Sonnenuntergang.” Selbstsicher und mit schnellen Schritten begann er den Aufstieg. “Sag, wenn ich langsamer gehen soll.” Er warf mir einen vielsagenden Blick über die Schulter zu. Ich antwortete nicht und versuchte mir meine angestrengte Atmung nicht anmerken zu lassen, ahnte jedoch, dass meine Kopfröte mich auffliegen ließ. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir endlich oben an und mir verschlug es die Sprache. Sonnenstrahlen fielen weich durch die Zwischenräume des Kirchengebäudes und in der Bergkulisse hatte der Anblick fast etwas Mystisches. Wir setzten uns auf die kleine Mauer, die das Kirchengrundstück einrahmte und schauten gen Sonne. Tatsächlich war der rote Kreis schon halb untergegangen. Das Abendlicht färbte den Himmel orangegelb und das Meerwasser und die Hügel, die es umgaben, schimmerten in den schönsten Violetttönen. Ich wünschte, ich könnte die Farbpalette für immer in meinen Erinnerungen festhalten. Als hätte Kilian meine Gedanken gehört, zog er aus seiner Tasche eine alte Digitalkamera hervor und versuchte den besten Winkel zu finden, um das Spektakel festzuhalten. “Wow, ich wusste gar nicht, dass du fotografierst?”, meinte ich staunend. “Ach, ist nur so hobbymäßig, die hat mir mein Vater an meinem achtzehnten Geburtstag geschenkt. Es war seine.” Beeindruckt beobachtete ich ihn aus dem Augenwinkel. Er bemerkte meinen neugierigen Blick und ich errötete sofort. “Hast du Lust zur Kirche zu gehen?”, versuchte ich schnell abzulenken. “Ja, gern.” Schnell packte er die Kamera ein, wir stiegen von der Mauer und gingen auf die Kirche zu. Sobald wir den Garten vor der Kirche betraten, breitete sich dieses Gefühl in mir aus, dass man immer dann hat, wenn man besondere Orte betritt, die wirken, als hätten sie schon immer existiert. “Die Kirche wird Kirche von Panagia genannt.” Kilian trat neben mich, während ich die Kirche neugierig von allen Seiten betrachtete. “Willst du die Legende über sie hören, die man sich hier auf der Insel erzählt?” “Ja, bitte!” “Im Jahr 1790 wollten mehrere algerische Piratenboote gemäß der Legende an Land gehen. Um ihr Leben zu retten, gingen die verzweifelten Bewohner von Folegandros in die Kirche und beteten zur Jungfrau Maria. Zu dieser Zeit blies ein starker Nordwind auf und versenkte alle Piratenboote, wodurch sie von ihren Angriffsplänen abgehalten wurden. Seit diesem Vorfall betrachten die Einheimischen die Jungfrau Maria als Beschützerin ihrer Insel. Panagia heißt Jungfrau Maria.” “Das ist glaube ich die erste Legende, von der ich mir vorstellen könnte, dass sie wirklich genauso passiert ist.”, meinte ich beeindruckt. In Gedanken versunken streiften wir beide weiter durch den Garten der Kirche.
© Emma Mucha 2023-08-31