Die kleinste Stadt Italiens

Eva Filice

by Eva Filice

Story
Glurns, Vinschgau 2024

Die kleinste Stadt Italiens hätte ich nicht in Alto Adige, in Südtirol vermutet. Eine gut erhaltene Ringmauer umschließt die Stadt, die wir durch eines der drei noch vorhandenen Stadttore betraten. Kleine Gassen, hübsche Laubengänge und reizende Plätze verleihen der Stadt Glurns einen mittelalterlichen Charakter. Die Kleinstadt liegt im oberen Vinschgau ganz nah an der Grenze zur Schweiz. Wie kam es dazu, dass dieser kleine Ort ein Stadtrecht erhielt?

Die Position des Ortes hebt die Bedeutung hervor, die Glurns seit der Römerzeit innehatte. In Glurns befand sich bereits ab 1233 der Sitz des Landesfürstlichen Gerichts. Die Lage an der Etsch, über die heute eine gedeckte Holzbrücke führt, und die Handelsroute Via Claudia Augusta machten die Siedlung zu einem wichtigen Umschlagplatz von verschiedenen Gütern. In dem mittelalterlichen Handelszentrum wurde mit Salz aus dem Inntal, mit Wein aus dem Veltlin sowie mit Schafen und Weizen Handel betrieben. In den Häusern der Lauben befanden sich die Werkstätten der Handwerker, die ihre Waren geschützt unter den Laubengängen anboten.

Schon im Mittelalter gab es Konkurrenzdenken, denn Herzog Meinhard II., Graf von Tirol, führte in Glurns 1291 den Bartholomäusmarkt ein, der ab 24. August zehn Tage lang dauerte. Somit wollte er dem Jahrmarkt im nahen fürstbischöflich-churischen Markt Müstair (heute Schweiz) um Maria Geburt am 8. September zuvorkommen. Im selben Jahr erhielt Glurns das Stadtrecht. Dem Reichtum der Stadt verhalf auch die Einhebung von Wegegebühren. Zu Beginn des 16 Jh. wurde die Stadt geplündert und aufgrund neuer Handelsrouten verlor die Stadt an Bedeutung, die Bevölkerung verarmte und beschäftigte sich mit Landwirtschaft. Erst im 20. Jh. konnte sich Glurns neuer Beliebtheit erfreuen. In einem Torturm wird über die Geschichte der Stadt ausführlich berichtet.

Beim Bummel durch die wunderschönen Lauben kamen wir zufällig am Rathaus vorbei. Der einstige adelige “Ansitz Hendlspurg” wurde Ende des 19. Jh. der Gemeinde übergeben. Dort entdeckte ich eine Tafel, die das Haus als das Geburtshaus des Zeichners Paul Flora aufwies. Er fühlte sich zu seinem Geburtsort ein Leben lang hingezogen, betrieb Sanierungen und wünschte sich, auf dem dem dortigen Friedhof begraben zu werden. Eine Dauerausstellung im Kirchtorturm informiert über das Leben und das Werk des Künstlers, der u.a. durch seine unverkennbaren „nervösen Strichgewittern“ in seinen Tuschezeichnungen berühmt wurde.

Der Weg von Glurns nach Müstair ist 12 km lang und heute problemlos mit dem Auto oder mit dem Postbus zu erreichen. Ich wäre gerne über das kurvenreiche Stilfser Joch (2757 m) nach Müstair gefahren, um dann in Glurns wieder den Vinschgau zu erreichen. Ich liebe es über Gebirgspässe zu fahren, wiederholt stehenzubleiben, um mich an der Bergwelt, hier am Panorama der Ortler-Alpen, zu erfreuen. Doch das Wetter spielte nicht mit. Das Stilfser Joch, der höchste befahrbare Gebirgspass Italiens, war gesperrt. Davon betroffen war auch der Giro d´Italia, denn Nebel und Schneefall zwangen die Profi-Rennfahrer zu einer Verkürzung der Route, die sie dann bei strömenden Regen über die Seiser Alm ins Grödnertal führte.

© Eva Filice 2024-07-03

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