Die “Krone”

Annemarie Baumgarten

by Annemarie Baumgarten

Story
Bad Schandau 1977 – 1989

Mir wurde erzählt, ich habe, als ich klein war, häufig Deutsches Beefsteak gegessen. Da gibt es nicht viel zu schneiden. Außerdem kennt man das: Das Fleisch ist zäh, das Messer stumpf. Den Besitzer der “Krone” sahen wir oft 19 Uhr heraustreten und das Schild “Küchenschluss” anbringen. Mittwoch und Donnerstag waren Ruhetage. Wir wollten das Hotel anschreiben, wünschten uns ein zentraler gelegenes Quartier. Das Gaststättenpersonal machte uns schon bei unserer mündlichen Anfrage keine großen Hoffnungen. Einmal speisten wir im zweiten Gastraum. Fast immer fanden wir dort das Schild “Geschlossene Gesellschaft” vor. An den Kellnern lag es hier bestimmt nicht. Der Sohn des Inhabers und eine ältere Kellnerin rannten mit den Tellern und Gläsern, was sie konnten, auf Umsatz bedacht. Die Bedienung rechnete schnell und doch richtig im Kopf, was die Zeche ausmacht. Eine Kommission soll bemängelt haben, dass keine schriftliche Rechnung erstellt wurde. Seitdem musste die Kellnerin alles aufschreiben. Das hielt auf, da ungewohnt. Sie sagte, sie muss eine Quittung mitgeben, draußen könnte einer stehen, der das überprüft. Einmal warteten wir vergeblich auf ein Essen. Vati wollte bezahlen und fragte die Bedienung, ob sie was gegen uns hat. Die gute Frau war erstaunt, diese eine Portion im Trubel untergegangen. Der Wirt stand fast immer an der Theke und zapfte das bestellte Bier, manchmal war auch seine Frau damit beschäftigt. Rechts vom Tresen war der Stammtisch. Manchmal saßen da spezielle “Kunden” von Sigl’s Gaststuben, wenn dort Ruhetag war. Rechts im Eck war ein Buntglasfenster. Die Herrentoiletten befanden sich gleich hinter der Küche. Von der Hygieneinspektion waren Einwände geäußert worden. Es sollte umgebaut werden. Die Riegel der Damen-WCs (erster Stock) hielten oft nicht. Mir wurde mal die Tür aufgerissen. Möglicherweise wurden die zwei stillen Örtchen mit von Hotelgästen genutzt.




Vati erzählte, er und Mutti kehrten noch vor meiner Zeit mal zusammen ein. Meine Mutter ging zur Toilette und kam ewig nicht wieder. Die Kellnerin erschien am Tisch und sagte zu meinem Vater, seine Frau sei doch schon vor einer ganzen Weile hinausgegangen. Sie ahnte, was los war – der Schließmechanismus der Tür klemmte.

Kurz vor der Wende wurde die “Krone” laut Frau W. einem Berliner Betrieb als Ferienheim verkauft. Die früheren Besitzer versuchten nach 1989, ihr Hotel zurückzubekommen. Unverschämte Forderungen wurden seitens der Verkäufer aufgemacht. Um das Haus in einen der neuen Zeit entsprechenden Zustand zu bringen, musste investiert werden. Der Sohn des Besitzers und seine Familie wohnten einst mit im Hause W. Enkel des Wirts wurden im Hotel- und Gaststättenfach ausgebildet.

© Annemarie Baumgarten 2024-05-02

Genres
Food & drink
Moods
Hoffnungsvoll