Die Lebenserwartung der Eintagsfliege

Waltraud Lehofer

by Waltraud Lehofer

Story
Tatort Wohnzimmer 2024 – 3000

Die älteste Eintagsfliege Deutschlands wurde angeblich stolze 45 Tage und 13 Minuten alt. Nachzulesen im Internet unter: Welt/Glasauge/Das Satiremagazin der Welt. Eine Eintagsfliege hat im Stadium der Larve eine Entwicklungszeit von vier Jahren, lebt als Vollinsekt aber nur ein bis zwei Tage, weiß Google. Ich weiß, dass die Fliege, die mir schon seit Tagen auf der Nase herumtanzt, entweder keine Eintagsfliege ist oder aber durch begünstigende Faktoren ähnlich wie ich eine inzwischen rasant gestiegene Lebenserwartung erlangt hat. Ich tippe auf letzteres. Erfolge der Medizin, (Antibiotikarückstände in Lebensmitteln) verbesserte Hygiene (das Hundegackerl nachhaltig verpackt im Sackerl) wachsender Wohlstand (Mülltonnen zum Überquellen voll) und strengere Tierwohl- und Artenschutzbestimmungen (ich werde trotzdem nicht Buddhist!) führten dazu. Es herrschen bei mir tatsächlich paradiesische Bedingungen: Eine unbrauchbare Fliegenklatsche, dreimal täglich, schmackhafte Mahlzeiten, pflanzenbasiert, gedopt durch ein gesundes Raumklima, so gesund, dass meine Fliege problemlos durch die offene Balkontüre herein fand, aber nicht mehr hinaus will und also zur Stubenfliege mutierte. Auf wessen Seite der alleinige Benefit liegt, ist klar. Mir will sich allerdings die Sinnhaftigkeit der gesteigerten Lebenserwartung einer Stubenfliege nicht erschließen, ich zweifle ja mitunter an der eigenen. Das Vollinsekt ist nur da für Sex und Eierlegen, lese ich weiter. Das möchte ich nicht eins zu eins auf mein Menschsein umlegen, wär mir ein bissl zu wenig an Lebensinhalt, wenn auch die Folgen, vier Kinder und in Bälde sechs Enkelkinder, die Frage der Sinnhaftigkeit meines Daseins gottseidank ziemlich obsolet machen. Bezüglich der Sinnhaftigkeit der Eintagsfliege, diverser Spinnen, Würmer und Schnecken stoße ich ziemlich schnell an meine Grenzen. Für mich müsste es diese Viecher nicht geben, allein, ich habe weder das Sagen noch besitze ich genügend Wissen, mir eine Bewertung, geschweige denn ein Urteil über ihre Existenzberechtigung anmaßen zu können. Trotzdem, ich gestehe es, nervt mich dieses penetrante Anfliegen und Herumgeschwirre vor der Nase derart, dass ich mit meiner harmlosen Klatsche wild fuchtelnd um mich schlage, meistens ohne jeden Erfolg. Für mich müsste es aber auch keine Putins und Trumps geben, keine Kriegstreiber und Verschwörer, dabei kann ich nicht einmal meine nächsten Verwandten davon überzeugen, dass wir nicht von implantierten Chips überwacht werden. Fliegenklatschen sind als Überzeugungsinstrument dabei wenig hilfreich. Ich muss mich also arrangieren, Stubenfliegen und Co. und, schwieriger noch, andersdenkende Mitmenschen als Teil einer mich beheimatenden geheimnis-, teils auch unheilvollen Welt zu akzeptieren. Und als Draufgabe wäre da noch meine schrullige alte Nachbarin zu erwähnen, die zu jeder Tages- aber ganz sicher zu später Nachtzeit vor die Haustüre trippelt und mit schriller Stimme “Mieze, Mieze, komm herein” ruft. Nun, ihre durchdringende Stimme kann meinen wie den Weltfrieden weder beeinflussen noch nachhaltig gefährden, meine Stubenfliege und meine gechippten Verwandten auch nicht, von Trump und Putin kann man das leider noch nicht mit Bestimmtheit sagen.

© Waltraud Lehofer 2024-10-31

Genres
Humor & Satire
Moods
Komisch
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