Die Marathonlegende #2

wolfsadler

by wolfsadler

Story

Als ich GĂŒnther zu seinem 50ten Geburtstag einen gemeinsamen Start beim „klassischen“ Athen-Marathon (von Marathon nach Athen mit Zieleinlauf im Olympiastadion) schenkte, den wir covid19-bedingt leider verschieben mussten, wollte GĂŒnther mir nicht glauben, dass es sich bei der oben genannten Geschichte weniger um einen legendĂ€ren Lauf, als um eine reine Legende handelt:

Die als Gemeinplatz bekannte ErzĂ€hlung, wonach Pheidippides (auch Philippides) nĂ€mlich nur die ca 42km vom Örtchen Marathon nach Athen gelaufen, und dort dann unmittelbar nach Überbringen der freudigen Nachricht vom Sieg ĂŒber die Perser tot zusammengebrochen sei, ist nach heutigem Wissensstand wohl „fake news“. Diese MĂ€hr fußt nĂ€mlich nur auf den spĂ€ten – weil erst im 1. nach-christlichen Jahrhundert und damit fast 600 Jahr nach dem eigentlichen Ereignis entstandenen – Angaben der Schriftsteller Lukian und Plutarch.

Der antike griechische Geschichtsschreiber Herodot – als unmittelbarer Zeitzeuge der Perserkriegen wohl die profundere Quelle – berichtet hingegen davon, dass Pheidippides als „TaglĂ€ufer“ bzw Laufbote zunĂ€chst von den Athenern GenerĂ€len nach Sparta geschickt wurde, um die Spartaner um UnterstĂŒtzung im Kampf gegen die zahlenmĂ€ĂŸig massiv ĂŒberlegenen Perser zu bitten.[1] Sparta liegt – anders als Marathon – nicht nur ca 40km sondern etwa 200km (!) und eine ganze Menge Höhenmeter von Athen entfernt.

Sofern Pheidippides – wie anzunehmen ist – dann auch wieder zurĂŒck laufen „durfte“, um den Athenern einerseits von der Zusage der Spartaner zu berichten, dabei ĂŒber Marathon kam und vom Sieg am Schlachtfeld zu Lande erfuhr, aber die Athener andererseits noch vor einem drohenden Angriff der persischen Flotte warnen sollte, dann wĂ€re er wohl in wenigen Tagen ĂŒber 400km und viele hundert Höhenmeter gelaufen. Das wĂŒrde auch den Tod – selbst eines trainierten TaglĂ€ufers – viel eher erklĂ€ren, als die spĂ€tere „geschichtliche VerkĂŒrzung“.

Wie man sich als LĂ€ufer fĂŒr das Leben rĂŒstet, sagt einem das alte afrikanische MĂ€rchen von der kleinen Gazelle und vom Löwen: Jeden Morgen, wenn in Afrika ĂŒber der Steppe die Sonne aufgeht, wacht die Gazelle auf. Sie weiß, sie muss heute schneller laufen als der schnellste Löwe, wenn sie nicht gefressen werden will. Und: Jeden Morgen, wenn in Afrika ĂŒber der Steppe die Sonne aufgeht, wird auch der Löwe wach. Er weiß, er muss heute schneller sein als die langsamste Gazelle, wenn er nicht verhungern will. Daraus folgt: Es ist eigentlich ganz egal, ob du ein Löwe oder eine Gazelle bist. Wenn ĂŒber der Steppe die Sonne auf geht, musst du rennen.

[1] vgl dazu Hdt. 6.105 bzw die entscheidende Passage in einer englischen Übersetzung von A. D. Godley, Cambridge, Harvard University Press (1920): „While still in the city, the generals first sent to Sparta the herald Philippides, an Athenian and a long-distance runner who made that his calling.(
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© wolfsadler 2022-12-04