by Corvus
Feiert, wenn Tag und Nacht gleich sind.
Die Tiere wollten feiern. So wie jedes Jahr richteten sie gemeinsam ein großes Fest zur Sonnenwende aus. Es sollte gelacht und getanzt werden und alle waren voller Vorfreude. Dieses Jahr war der Schlange nicht danach. Sie spürte, dass eine Veränderung nahte, etwas würde im Wald geschehen. Sie wusste noch nicht, was es war, denn es war nur ein Gefühl, verborgen in dichten Nebelschwaden.
Am Tag des Festes wurden die Feierlichkeiten, so wie es Brauch war, von der Ältesten des Eulenrats begonnen. Sie ermahnte die Tiere, sich nicht zu sehr auf Äußerlichkeiten festzulegen und wieder mehr an das Innere und die Vernunft zu glauben. Alle wussten, dass sie damit ihre Abneigung gegen das Tragen der Schlangenhaut äußerte, auch wenn sie es nie klar formulierte.
Das Fest ging dahin und die Schlange saß am Rand des großen Steinkreises, in dessen Mitte die Tiere um ein großes Feuer tanzten. Sie beobachtete die Freude in den Gesichtern und das Farbenspiel der Flammen in all ihren alten Häuten. „Das ist wunderschön“, holte sie eine Stimme hinter sich aus den Gedanken. „Es scheint, als seien dies deine alten Häute. Ich habe bereits von dir gehört.“ Eine andere Schlange, fast schwarz mit silbrigen Punkten in den Schuppen, kroch auf sie zu. „Ich bin die Mitternachtsschlange“, fuhr sie fort. „Man gab mir diesen Namen, weil meine Haut schimmert wie der Nachthimmel mit seinen Sternen. Wie nennt man dich?“
„Mich nennt man die Mondschlange, nicht weil ich so aussehe, sondern weil ich zu jedem vollen Zyklus meine Farbe ändere.“ Die Mitternachtsschlange musterte die Mondschlange. „Inzwischen beginnen die Tiere jedoch, sich um meine Häute zu streiten. Sie freuen sich nicht mehr über meine Gaben und hüten sie wie Schätze, sondern prahlen, wer die Schönste besitzt.“ Die Mondschlange verfiel wieder in ihren Kummer.
„Nun“, antwortete die Mitternachtsschlange, „vielleicht kann ich dir helfen. Lass uns doch eine Weile zusammenbleiben und ich zeige dir meinen Weg. Ich kann dir nichts versprechen, aber vielleicht wird mein Weg auch dein Weg.“ So geschah es, dass die beiden zusammen zur alten Eiche gingen und während sie so erzählten, geschah etwas Sonderbares: Das Türkis, das die Mondschlange in dieser Zeit getragen hatte, verblasste. Es wurde dunkler und dunkler, wurde nachtblau, fast schwarz und sie spürte, dass sie nun jemanden gefunden hatte, an den sie sich halten konnte.
Als der Hase am nächsten Tag zu seiner Morgenrunde bei der Mondschlange vorbeikam, erschrak er: „Das ist ja noch nie geschehen, dass du die Farbe außerhalb des Mondes gewechselt hast. Was ist passiert?“ Die Mondschlange erzählte ihm von den langen Gesprächen mit der Mitternachtsschlange und er freute sich mit ihr. Solange es ihr gut ging, würde es ihm auch gut gehen.
© Corvus 2023-10-19