Die Musterung

Ferdinand F. Planegger

by Ferdinand F. Planegger

Story

Die Musterung ging flott voran. Die Entscheidung, wer tauglich war und wer nicht, traf ein Majorsarzt. Es war ein groteskes Bild: Im Saal der Gendarmerie-Kaserne standen fünfzig nackte Burschen und zitterten nicht nur vor Kälte. Neben mir stand Hans Pleschberger. Hans war der Dorfdepp in unserer Stadt. Bei den Voruntersuchungen war er tauglich, aber jetzt wurde es ernst. Zum Gaudium aller erzählte er, dass er zur Militärpolizei wolle. Hubschrauberpilot wäre eine Option. Hans war gutmütig. Seine Leidenschaft war das Singen. Für einen Obolus stellte er sich breitbeinig vor sein Publikum und imitierte Elvis Presley oder sang Gospelsongs.

Der einarmige Majorsarzt, wohl ein Kriegsveteran, brüllte: „Gesprochen wird nur nach Aufforderung. Kapiert?!“ Die Burschen traten einzeln vor. Der Arzt prüfte allgemeine und geistige Fähigkeiten. Danach kam die Entscheidung: Tauglich oder untauglich.

Ich dachte an Auflockerung, als ich Hans ins Ohr flüsterte: „Wenn du zur Militärpolizei willst, musst du etwas dafür tun. Du solltest singen, unaufgefordert. Sonst wird das nichts!“ Hans schaute sich unsicher um. Als er nur Zustimmung sah, legte er los, steppte aus der Reihe, drehte sich in Position und wirbelte mit den Händen auf seiner Luftgitarre herum. Er lief zur Hochform auf und schmetterte aus voller Brust: Oh, when the Saints, go marching in … Die Gruppe wieherte vor Lachen; das Gesicht des Majors färbte sich dunkelrot. das Gesicht des Majors färbte sich dunkelrot: „Ruhe!“ Danach folgte Stille, nur seine zuckende Oberlippe verriet, was in ihm vorging. Er schritt die Reihe der nackten Jungmänner ab, zeigte auf Hans, befahl ihm näherzutreten und fragte in zynischem Ton: „Wissen Sie was ein Halbdepp ist?“ Hans verneinte ängstlich. „Ich sag´s Ihnen: Das ist ein Volltrottel, den man, humanerweise, Halbdepp nennt!“ Der Major suchte Hans’ Akt heraus, knallte den „Untauglich-Stempel” darauf und entließ Hans Pleschberger mit sofortiger Wirkung. Jedem war klar, dass es so kommen würde – beim Hans. Der Major marschierte ruhig auf mich zu. Meine, vom Lachen verzerrte Unschuldsmiene, hatte mich verraten. Mit teuflischem Lächeln sagte er, dass er mich Falloten schon noch kleinkriegen werde. Sein Befehl war klar: Ich musste bis zum Ende der Musterung in der Ecke des Saales stehen. Es war kalt, ich war nackt und fror erbärmlich. Und kam als Letzter dran. Der Major grinste, seine war Wut verraucht. Er sah mich an, stutzte und zeigte auf meine Narben: „Was war das für eine Operation?“. Ich sagte: „Magendurchbruch, Billroth II.“

„Haben Sie ein Attest mit?“ – „Nein. Warum?“

„Weil wir Sie damit beim Bundesheer nicht brauchen können“, sagte er und drückte den Stempel auf den Bescheid. „Untauglich?“, fragte ich. „Ja. Und jetzt ist Schluss, wir machen Feierabend.“ Somit stand fest: Der Dorfdepp und ich waren die einzigen Untauglichen meines Jahrgangs. „Das glaubt mir niemand“, sagte ich und schaute mich um. Es war niemand mehr da.

© Ferdinand F. Planegger 2020-02-01

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