Die Raupendressur

Annemarie Hülber

by Annemarie Hülber

Story
2025

Ich habe einige Talente. Zum Beispiel bin ich eine ganz gute Köchin. ‘Tierdressur’ zählt nicht zu meinen Kernkompetenzen. Aber man weiß nie, was man kann, bevor man es versucht.

Ja, natürlich. Der Dackel-Schnauzer kann ‘Sitz’ und ‘Platz’. ‘Gib Pfoti’ und ‘Mach Plumpsi’ (lege dich auf den Rücken und lass dir das Bauchi kraulen) haben wir in beiderseitiger Übereinkunft erlernt. Ich halte wenig von unnötigen Kunststücken. Dressur ist also nicht so meines. Trotzdem habe ich es geschafft, ein ganz wundersames ‘Tier’ dazu zu bringen, das zu tun, was es soll. Ich habe eine Raupe dressiert. Eine TREPPENRAUPE!

Wie ungefähr eine Million(!) Österreicher, bin ich eine pflegende Angehörige. Ich pflege den Herbert. Da gibt es Fortschritte und Rückschläge. Ein großer Abstrich für Herberts Lebensqualität ist die fehlende Mobilität. Die 5 Stufen aus dem Haus in die ‘Freiheit’ sind unüberwindlich. Ein Treppenlift ist aus bautechnischen Gründen nicht möglich. Eine Rollstuhlrampe? Die hätte, wegen des begrenzten Platzes, eine Steigung von ca. 24 %, geht also auch nicht. Treppenraupe, sagt der Mitarbeiter der Liftfirma. Er kommt vorbei und macht eine Vorführung. Allerdings ohne Herbert, der ist im Spital. Alles ganz einfach. Rollstuhl an der Raupe montieren, Patient mit Rollstuhl kippen, bis zum Stufenrand fahren, Gerät kippen, Stufen runter, Rollstuhl mit Patient wieder nach vorne kippen. Fertig! Es kann nichts passieren. Ich bin skeptisch – werde ich das schaffen?

Monate später, wir haben uns für den Kauf einer gebrauchten Raupe entschieden, wird das Ding geliefert und ich bekomme nochmals eine kurze Einschulung. Richtig ausprobieren können wir es leider nicht, denn es regnet in Strömen. Es gibt ein Tutorial, sehen Sie sich das an. Ja, ok, im Internet sieht das wirklich einfach aus. Die Person im Rollstuhl hat ungefähr 50 Kilo. Der Herbert wiegt mehr als das Doppelte. Wird schon gehen.

Die Physiotherapeutin ist da und gemeinsam nehmen wir die Raupe in Betrieb. Schnell ist der Herbert samt Rollstuhl an der Raupe befestigt, aber schon das Kippen ist sehr schwierig. Mit vereinten Kräften schaffen wir’s. Wir überwinden die 5 Stufen, aber unten lässt sich der Rollstuhl nicht wieder in eine aufrechte Position kippen. Wir wollen wieder in die Wohnung, aber die Raupe schafft es nicht über die unterste Stufe. Mit viel Anstrengung heben wir das Gerät samt Rollstuhl und Herbert ein Stück an. Jetzt funktioniert es. Oben droht das Gefährt samt Herbert nach hinten zu kippen. Mit viel Kraft und Glück halten wir dagegen und schaffen es, den Herbert wieder in aufrechte Position zu bringen. Herbert ist cool, aber ich würde mich jetzt gerne in eine Ecke setzen und ein bisschen weinen. Ich rufe den Mitarbeiter der Liftfirma an.

Der Mitarbeitet hat das Gerät dann neu justiert, Rädchen ausgetauscht und das Verdeck entfernt. Und ich habe geübt, geübt, geübt. Es funktioniert! Mittlerweile habe ich alle Tricks und Kniffe in puncto Treppenraupe drauf. Das Tierchen macht mir keine Spompanadln mehr. Die Physio hat mit Herbert geübt, wie er vom Rollstuhl ins Auto kommt. Jetzt sind wir unterwegs: zum Arzt, zur Bank oder auch mal nur eine schöne Rundfahrt. Es ist einfach großartig! Wir freuen uns.

© Annemarie Hülber 2025-06-01

Genres
Humor & Satire
Moods
Emotional, Komisch
Hashtags