Die Rose (Romantik fĂĽr Wiener)

Paul Frigo

by Paul Frigo

Story

Manche Leute haben eine Leiche in ihrem Keller. Angeblich. Bei mir ist das anders. Meine Leiche liegt im Garten. Gleich vorne rechts im Eck. Hinter dem Apfelbaum, den die frĂĽhere EigentĂĽmerin vor einer Handvoll Ewigkeiten angepflanzt hat. Zumindest steht das in dem Bescheid der MA 40, den ich gestern Abend in ihrem Nachlass in der alten Kredenz gefunden habe. Also da steht natĂĽrlich nicht das mit dem Apfelbaum, sondern das mit meiner Leiche.

Ich sage „meine“ Leiche, denn ich glaube, dass sie rechtmäßig mir gehört. Sie liegt auf dem Grundstück begraben, das ich vor drei Wochen gekauft habe und ist daher mit meiner Eintragung ins Grundbuch in meinen Besitz übergegangen.

„Hiermit wird die Bewilligung zur Errichtung einer Privatbegräbnisstätte für die Beisetzung der Leichenasche erteilt.“, stand in dem Bescheid geschrieben. Ganz nüchtern. So, als ob der zuständige Herr Diplomingenieur das Aufstellen eines Gartenzauns genehmigt hätte. Oder das Fällen eines Baumes.

Mein Schrebergarten ist also ein Friedhof. Dabei gibt es einen Steinwurf entfernt gleich drei letzte Ruhestätten. Die Voreigentümerin hätte also die freie Wahl gehabt zwischen dem Gersthofer Friedhof zur Linken und einem der beiden Zwillingsfriedhöfe den Berg hinab. Wieder ein Beweis dafür, dass zu viel Auswahl der Entscheidungsfindung schaden kann.

Nun ruht Frau Mama also im ewigen Schatten des Apfelbaums. Oder auch nicht. Von außen deutet nämlich nichts darauf hin, dass in etwa 50 Zentimetern Tiefe zu Asche gewordener Restmüll liegen könnte. Und ich habe nicht vor, nachzusehen. Nicht, weil ich mich vor dem Tod fürchte. Oder vor den Toten. Ich habe den Spaten in der Gartenhütte gelassen, weil es mir leidgetan hätte um die Rose, die das vermeintliche Grab ziert.

Die Rose mit Ranken dünn wie die Finger eines kleinen Kindes – ein zerbrechliches Symbol der Erinnerung.

Die Rose mit Dornen spitz wie frisch geschliffene Messer – ein Zeichen für den unsterblichen Schmerz des Verlusts.

Die Rose mit Blättern rot wie Blut, die auf den verbrannten Überresten des Lebens wächst – eine vom Tod genährte Liebeserklärung.

Und so habe ich den ganzen gestrigen Abend mit der Rose verbracht. Ich habe zärtlich über ihre Ranken gestreichelt wie über den Körper einer schönen Frau. Ich habe die Erde, ihre Erde, zwischen meinen Fingern zerrieben und an den seidenweichen Blättern gerochen – erpicht darauf, nicht ein einziges davon abzureißen. Denn Rosenblätter sind fragil. Fragil wie das Leben. Fragil wie das Paradies.

© Paul Frigo 2021-04-12

Hashtags