Die rote Sonne von Barbados

MISERANDVS

by MISERANDVS

Story

Meinen Eltern ist es geschuldet, dass ich so ziemlich jeden deutschen Schlager textsicher mitsingen kann. Dass ich auch so ziemlich jedes deutsche Soldatenlied auswendig kann, das wiederum hab ich Opa zu verdanken – aber das ist eine andere Geschichte. Wenn wir in Urlaub fuhren, spielte Vati meist seine Schlager-Kassetten im Auto ab. Ich genoss die stundenlangen Fahrten und die Musik. Und drum hab ich auch auf meiner Wing einen Ordner “Schlager”.

Als ich heut ausfahre in die Gegend um Mistelbach, ist es ein herrliches Wetterchen. Die Landschaft dort ist richtig fein. Sonnige Ebenen, die in allen Farben des göttlichen Malkastens erstrahlen, sanfte, kurvige Straßen durch kleine Wäldchen, in denen die Luft mit einem Mal richtig eisig kalt wird. Nichts für den Kurvenschneider, sondern eine schöne Strecke zum Cruisen. Und ich denke mir: “Das ist grade so ein Moment, der könnte ewig dauern.” Und bei allem, was mir heilig ist – und die geneigte Leserschaft weiß, das ist nicht viel, aber das Wenige ist mir umso heiliger – Ich schwör: Mit einem Mal hab ich das Gefühl, als säße Lydia bei mir hinten am Bock, und ich hör’ ihre Stimme, wie sie sagt: “Gott, ist das wunderschön. Hier. Mit dir.”, und ich spür, wie sie ihre Hände um mich legt. Mir rinnt eine Gänsehaut über den Rücken hinunter, und meine Nackenhaare kräuseln sich, wie ich es noch nie erlebt hab. Mein Herz rast, und ich reiß die Maschine auf einen Standplatz raus, bringe sie mit einer Vollbremsung zum Stehen, steige in der Staubwolke ab, die sich langsam über uns legt, hopse voller Grusel von einem Bein aufs andere und sage dabei panisch: “Hexe! Hexe! Hexe! Dreimal schwarzer Kater!”. Es schüttelt mich am ganzen Leib. Ich dreh mich um nach allen Seiten. Nichts. Logisch! Mein Atem peitscht dennoch durch meine Nasenlöcher. Ich sag’s, und ich genier mich nicht: Ich hab die Hosen gestrichen voll. Eine ganze Weile steh ich so da. Dann schrei ich los: “Sag mal, du spinnst wohl, mich so zu erschrecken!” Und ich sehe Lydia vor meinem geistigen Auge, wie sie schallend lacht, in die Hände klatscht, und sie sich schenkelklopfend amüsiert, dass ich so ein Schisser bin. “Och, hat sich mein Schmusehase erschrocken!”, würde sie mit spitzen Lippen sagen und mich dann küssen, während sie mir dabei lachend in den Mund prusten würde, dass es mir die Backen blähte.

Dass ich verrückt bin, habe ich ja schon eingesehen. Aber dieses Erlebnis heut stellt alles auf ein neues Niveau.

Ich fahr wieder los. Ein Auge immer im Rückspiegel auf den leeren Sitz gerichtet. Und dann sag ich: “Wo warst’n du so lange, hm?” “Hatte noch Sachen zu erledigen, Süßer.” Ich pruste: “Ja, sterben, gell?” Wieder ist mir, als spürte ich ihre Hände an mir. “Weißt du, was das Schöne ist? Ich bin endlich frei. Und ich kann jetzt alles Schöne mit dir machen und erleben. Bei dir sein.” Der vermaledeite Fahrtwind, drückt mir das Wasser in die Augen.

Ich fasse zusammen: Schlagermusik geht wohl doch aufs Hirn, macht aber glücklich.

© MISERANDVS 2021-06-05

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