Nach knapp zwei Wochen, in denen ich bei meiner Mutter mit meinem Sohn lebte, kam der Tag, an dem ich wieder “nach Hause” musste. Also setzte ich mich in den Bus und stieg in Rechnitz aus. Mein Herz raste und tausende Gedanken überfielen mich. Begleitet von der Angst, dass seine Verwandten mich mit dem Auto überfahren würden oder dass ich seiner fast 9-jährigen Tochter begegnen würde, lief ich mit Kind und Koffer zur Wohnung.
Drinnen angekommen strich ich erstmal langsam durch die Räume, um mir ein Bild zu machen. Mein Vater hatte die Wohnung zwar notdürftig gereinigt, aber es fanden sich dennoch überall Blutspuren. An den Wänden, den Möbeln, dem Boden. Einfach überall. Ich begann zu putzen, damit mein Sohn und ich uns wenigstens halbwegs “wohlfühlen” konnten. In seinem Zimmer waren zum Glück keinerlei Spuren, da dies der einzige Raum war, in dem sich nichts zugetragen hatte. In seiner kindlichen Naivität freute er sich, all seine Spielsachen wieder zu haben und fragte sogleich, wo sein “Papa-Bernd” und seine Lena seien. Ich erzählte ihm erneut, dass er im Gefängnis und sie bei ihrer Tante war, denn die Wahrheit konnte ich vor ihm ohnehin nicht lange verbergen, da er ein sehr intelligenter und aufmerksamer Bub ist.
Bei meiner Putzaktion bemerkte ich eine Skalpellklinge hinter meinem Kamin und einen blutigen Fingerabdruck am “Räuber”, außen an meiner (inneren) Eingangstüre, beim Treppenaufgang. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. “Er wollte mich sogar einsperren! Aber ich wäre ja aus dem Fenster gesprungen!” Ich rief sofort den LKA-Beamten an und er schickte unverzüglich die Spurensicherung zu mir. Denn Bernd leugnete die ganze Sache und behauptete steif, ich wollte mir das Leben nehmen. Wenn also dieser Fingerabdruck am Räuber deutlich von ihm zu erkennen wäre, hätte ich den ultimativen Beweis gehabt. Doch leider konnte die Spurensicherung nur meine DNA, weil es sich ja um mein Blut handelte, sicherstellen.
Wochenlang waren wir gezwungen, am Tatort zu leben. In der ständigen Angst, dass eines seiner angeblichen Hells Angels-Mitglieder mich umbringen würde, mir jemand einen Molotow-Cocktail ins Fenster schmeißen würde, oder mich einfach jemand überfahren oder bei mir einbrechen würde. Ich musste all diese Ängste ertragen und gleichzeitig eine gute Mutter sein.
Darum suchte ich unmittelbar nach einer neuen Wohnung für meinen Sohn und mich, da ich auch nicht sicher sein konnte, ob er im Gefängnis bleiben würde oder nicht. Im August wurde die U-Haft jedenfalls verlängert, doch über diesen Zeitraum flüchteten wir zu einer Freundin nach Ungarn und machten “Urlaub” am Balaton. Dort verkündete mir der Vater meines Sohnes, dass er mit seiner neuen Kärntner Freundin nach Kärnten ziehen werde und bat mich, auch dorthin zu ziehen. Ich überlegte keine Sekunde und willigte ein. Schließlich fand ich eine tolle Wohnung in der Nähe von Klagenfurt und übersiedelte zwei Wochen vor der Gerichtsverhandlung.
Scheinbar alles gut…
© JuliaGe-Punkt 2021-09-29