Die schwarze Rose

Joanna John

by Joanna John

Story

Da war eine schwarze Rose. Sie wäre untergegangen auf der dunklen Oberfläche, wäre sie nicht von den ganzen weißen Lilien umgegeben gewesen. Anklagend lag sie in der Mitte des reinen, unschuldigen Meeres, als wolle sie dadurch die bittere Wahrheit verkünden. Die hellen zarten Lilien waren nur ein Trugbild, ein Trugbild des Friedens. Doch hier herrschte kein Frieden. Hier herrschte nur Tod und die unheilverkünden schwarze Rose war der Beweis dafür…

Emma blinzelte und versuchte ihren Blick von der schwarzen Rose auf dem dunklen Sarg zu lösen. Doch sie schien sie magisch anzuziehen. Viel zu schwer war die Last, die mit dieser dunklen Blume einherging. Sie atmete tief durch, versuchte die Schuld abzuschütteln, doch der Druck auf ihrer Brust wurde immer größer und nahm ihr langsam die Luft zum Atmen. Immer wieder tänzelte diese eine Frage durch ihre Gedanken: Hätte ich es verhindern können? Und als wäre die Frage nicht schlimm genug, drängte sich ihr unwillkürlich eine weitere auf: War es meine Schuld? Unauffällig ließ sie ihren Blick über die anderen Trauergäste streifen. So viele waren gekommen, die ganze Kirche war voll. Ob bei ihr auch so viele Menschen kommen würden? Vermutlich nur, wenn sie ebenfalls jung starb. Der Gedanke betrübte sie noch mehr. Die Eltern traten an das Rednerpult und redeten unter Tränen von ihrem Kind. Emma musste sich zusammenreißen, nicht den Kopf zu schütteln. Wut machte sich in ihr breit, auch wenn sie sie kaum erklären konnte. Doch diese Worte waren einfach falsch. Die Eltern sprachen über ihren Sohn, als einen fröhlichen Menschen, konnten das Unglück nicht verstehen. Emma sollte nicht wütend auf trauernde Eltern sein, doch sie konnte nicht anders. Der Druck auf ihrer Brust, die Schuld in ihrem Herzen ließ das nicht zu. Nur sie und die anderen drei ihrer kleinen Onlineselbsthilfegruppe kannten sein Geheimnis. Nur sie wussten, wie er sich wirklich gefühlt hatte, was er täglich durchgemacht hatte. Mit welcher Last er zu kämpfen hatte. Die gleiche die sie alle trugen. Eine Krankheit, unsichtbar und unterschätzt, aber sie konnte einen Menschen komplett zerstören. Emma wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Sarg zu und der schwarzen Rose, die sich aus den weißen Lilien erhob. Sie wusste nicht genau wer die Rose dort abgelegt hatte, aber sie erkannte die Botschaft. Diese Rose war kein Symbol des Friedens wie die weißen Lilien. Sie war eine Drohung. Oder eher eine Warnung. Damit sowas nicht wieder passierte. Damit sich nicht wieder ein junger Mensch das Leben nahm. Innerlich so zerbrochen, dass er keinen anderen Ausweg sah.

© Joanna John 2022-08-31

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