“Nietzsche schreibt, die Welt habe erst durch den Menschen ihre Farbe bekommen. “[W]ir sind die Coloristen gewesen”, sagt er. Worin diese Farbe besteht? Im Grunde ist sie alles, was dem, was tatsächlich ist, zusätzlich aufgebürdet wird. Das setzt aber voraus, dass es überhaupt Dinge gibt, die tatsächlich existieren – was man natürlich bezweifeln kann, sei es nun methodisch, wie Descartes es tat, oder vollen Ernstes, wie niemand es tut, weil man dadurch absolut nirgendwo hinkommt. Wir werden diese Voraussetzung also wohl oder übel akzeptieren, werden uns in unseren Gedanken verhalten wie wir es im Alltag tun. So, als sei Existenz kein bloßer Traum.
Es gibt genug Philosophen, die sehr schlüssig dafür argumentiert haben, dass die Dinge um uns herum tatsächlich existieren, so zum Beispiel Kant. Eine andere Frage jedoch ist, ob wir diese auch tatsächlich erkennen können; das also, was Kant das “Ding an sich” nannte. Er selbst war der Meinung, dass wir das nicht können. Unsere Wahrnehmung, oder Sinnlichkeit, ist nun einmal von bestimmten Parametern abhängig, welche den subjektiven Standpunkt bedingen und gleichzeitig von ihm bedingt werden – allein, dass wir als subjektive Wesen einen Standpunkt haben müssen, lässt uns ein Ding immer nur von einer Seite erfassen. Wir sind gefangen in Raum und Zeit.
Das verheißt nichts Gutes für unser Verständnis von Wahrheit, noch für unser Eigenverständnis als Wesen, die Wahrheit erkennen können. Ist Wahrheit, ist Objektivität unter diesen Umständen überhaupt noch möglich? Die gute Nachricht ist, dass wir, auch, wenn wir das “Ding an sich” zwar nicht erkennen können, doch in der Lage sind, etwas zu erkennen, das existiert. Wir haben also einen Zugang zur Realität, so beschränkt und unvollkommen er auch sein mag. Das bedeutet, dass, wenn wir von dem Baum draußen vor dem Fenster reden, wir etwas beschreiben, das tatsächlich existiert (es sei denn, wir durchleben gerade eine Psychose, aber nehmen wir einmal an, das sei nicht der Fall). Mag der Baum auch eigentlich ganz anders sein, als wie wir in wahrnehmen, so ist er dennoch da. Ein objektiver Zugang zur Welt lässt sich folglich in einer nüchternen Tatsachenbeschreibung vollbringen, mit dem Bewusstsein für den subjektiven Standpunkt, aus dem heraus sie ausgesprochen wird. Zum Beispiel könnte man einen Mord so beschreiben:
“In der menschengemachten Struktur “Haus” (H) verhält sich ein Mensch der Gattung “Gärtner” (G) mithilfe des Objekts der Gattung “Axt” (A) in solcher Weise, dass sein Verhalten direkt zum Ableben eines anderen Menschen der Gattung “Hausbesitzer” (B) führt. G betritt mit A H, begegnet B und haut mit A auf B ein, bis B stirbt. Daraufhin verlässt G mit A wieder H.”
Das Ziel einer solchen Sachverhaltsfeststellung ist es, ein möglichst unverfälschtes Bild der Welt zu erlangen. Was dabei versucht wird, auszuschließen, ist die menschliche Couleur, die Nietzsche beschreibt, die Wertung, die Bedeutungszuweisung. Eine objektive Sichtweise darf diese nicht einschließen.”
“Also ich find das jetzt gar nicht so schlimm, wenn ein Hausbesitzer abkratzt.”
“Ja, Manfred, das weiß ich. Aber das tut doch nichts zur Sache.”
“Wieso nicht? Ist es nicht wahr, dass ich dem Bastard den Tod gönne?”
“Doch. Wahrscheinlich schon. Aber deine Beurteilung der Sache hat mit der Sache selbst nichts zu tun, das meine ich!”
“Ach halt´s Maul und trink dein Bier.”
© Finian Faller 2025-05-04